Trans-Canada-Highway

Immer geradeaus!

02.07.2008 – 09.07.2008

KANADA: DER TRANS-CANADA-HIGHWAY

Dem einen mag beim Gedanken an den Trans-Canada-Highway ganz bange werden; kann man denn nicht auch einfach fliegen oder wenigstens den Zug nehmen? Wozu baut man überhaupt so eine enorme Straße? Wer ist denn so verrückt und fährt einmal quer durch Kanada? Bei anderen wiederum sieht man sofort das Glitzern in den Augen: TCH, ein Abenteuer, eine Straße für Entdecker, Freaks und… ja, und Menschen mit enormen Sitzfleisch, zäh wie Bisonsteak.

TCH – Trans Canada Highway

Toronto mit seinen 3,2 Millionen Einwohnern haben wir hinter uns und die Weiten Kanadas vor uns. Das gesamte Land in seiner Ost-West-Ausdehnung liegt uns zu „Reifen“. Auf dem TCH sind wir nun ja schon das eine oder andere Mal gefahren, hier mal eine kleine Etappe, dort mal ein Stückchen. Aber was wir jetzt vor uns haben, verdient auch den Titel „Trans-Canada-Highway“. Wir haben mal kurz überschlagen, was so an Distanz vor uns liegt: knapp über 4.000 km bis Dawson Creek (Tor nach Alaska). Uff! Nähme man diese 4.000 km als Luftlinie, käme man beispielsweise von München bis nach Al Amarah am Tigris (auf dem halben Weg zwischen Bagdad und Basra gelegen) oder bis zum Nordkap in Norwegen. Lange haben wir überlegt: Fahren wir durch, machen wir öfters mal ein Pause oder überhaupt? Wir haben uns dann fürs Durchrauschen entschieden. Das bedeutet für uns eine knappe Woche nur Autofahren. Von der Früh bis zum Abend, oder auch in die Nacht hinein. Es drängt sich einem der Gedanke auf, ja spinnen die, so viel wunderbares Land, da muss man doch in Ruhe und mit Genuss hindurchreisen. Aber fahren wir erst mal los.

Los geht’s

Um 8:30 Uhr sitzen wir im Auto und fahren aus Toronto raus. Auf den Highway 400 North. Ja, nach Norden, wir müssen ja erst einmal um die großen Seen herum. Lake Ontario (19.500 km²) und Lake Erie (25.700 km²) sind die beiden kleinsten der fünf Seen und liegen natürlich nicht auf unserem weiteren Weg, befindet sich ja Toronto am Lake Ontario, und den Lake Erie haben wir bei unserem Ausflug zu den Niagara-Fällen schon gestreift. Ab dem Städtchen Honey Harbour geht der Highway mehr oder weniger am Lake Huron bzw. der Georgian Bay entlang. Die Georgian Bay wird oft auch als der sechste der Großen (fünf) Seen bezeichnet, ist jedoch kein eigener See, sondern durch zwei sich fast berührende Halbinseln vom Lake Huron abgetrennt. Der Lake Huron mit einer Fläche von 59.600 km² ist somit etwas kleiner als Bayern (70.552 km²) aber schon deutlich größer als Baden-Württemberg (35.752 km²). So groß wie Bremen sind hier Rastplätze, aber das nur am Rande. Den Lake Superior (82,400 km², der größte der fünf Seen) lassen wir links liegen, machen an seinem Ufer nur ein kleines Mittags-Picknick und stoßen in die Weite des Landes vor. Angeblich stellen die Great Lakes mit einer Gesamtfläche von 245.200 km² und einem Volumen von sagenhaften 22.470 km³ ein Viertel des weltweiten Süßwasservorrates dar.

Die Fahrt verläuft ereignislos. Richtig ereignislos. Wir durchfahren Wälder, Wälder, Wälder und noch ein paar Wälder. Unterbrochen von dem ein oder anderen See bzw. Seechen. Nach über 100 Seen haben wir aufgehört zu zählen. Nun könnte man denken, dass das irgendwie auch schön ist. Ist es auch, aber eben nicht ewig. Die kanadischen Wälder sind schlicht und ergreifend endlos. Und dunkel. Nach guten 400 km bekommen wir fast ein bisschen schon ein beklemmendes Gefühl. Ein bisschen wie eingesperrt; Schnellstraße durch den Schwarzwald in Endlosschleife. Es nimmt und nimmt kein Ende. Die wenigen Ansiedlungen entlang des Weges haben allesamt etwas Trostloses: Tankstelle, zwei heruntergekommene und geschlossene Läden für Eisenwaren oder Schusswaffen, ein paar Häuser, deren Anordnung den Anschein der totalen Willkür erweckt. Es scheint fast, als ob dort gebaut werde, wo das Auto mit Motorschaden liegen geblieben ist und auch heute noch steht. Wir fahren an diesem Tag genau 928 km, was bei einer durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit von 95 km/h nicht schlecht ist.

Weiter geht’s – zu den Bären und Elchen

So geht es dann noch ewig weiter, auch am nächsten Tag. Erst kurz vor Winnipeg in der Provinz Manitoba lichten sich die Bäume, und es erstreckt sich eine schier endlose Prärie-Landschaft vor uns. Es ist erleichternd, wieder den Horizont zu sehen. Natürlich könnten wir nun jeden Tag einzeln mit seinen Ereignislosigkeiten zum Besten geben, aber das wollen wir Ihnen an dieser Stelle (und auch an anderen) ersparen. Beschränken wir uns lieber auf die die Monotonie kurz durchbrechenden Momente. Obwohl Kanada ein Elch-Land ist, waren wir bisher nicht gerade mit Elchsichtungen gesegnet. Nun ist es aber endlich so weit, und was für ein riesiges Prachtexemplar! Ganz ruhig steht er da im Gras. Ganz nah. Und groß. Sehr groß. Wir beobachten den Elch eine Weile, bis er sich zu beobachtet fühlt und gemächlich im Dickicht des kanadischen Waldes verschwindet. Und kurz darauf treffen wir das wohl am schwersten zu findende und folglich auch zu sehende Tier Kanadas: einen Schwarzbären. Er läuft direkt vor uns über die Straße. Wobei laufen hier relativ ist. Er rennt. Und wie, will er ja auch nicht überfahren werden. Was uns aber dann doch sehr fasziniert, ist die Geschwindigkeit, mit der der Bär über die Straße sprintet. Jetzt verstehen wir auch die Warnungen, vor einem Bären nicht wegzurennen, da der Bär eh schneller sei.

Curling-Weltmeisterinnen und Neil Young

Die erste größere Stadt, Winnipeg, Manitoba taucht ähnlich einer Oase aus dem Nichts auf. Nach unzähligen Kilometern Wald und Prärie wirkt es fast surreal. Einige wenige Hochhäuser bilden Downtown. Aus der Ferne wirken diese Gebäude wie Himmelsleitern. Die schon von weitem sichtbare Skyline erscheint einem fast wie eine Fata Morgana. Wir kommen gegen 23 Uhr an, und es ist noch fast taghell, obwohl fast auf demselben Breitengrad wie Paris gelegen (und morgens geht die Sonne schon gegen 4 Uhr auf). Über die Stadt gibt es nicht besonders viel zu berichten. Sie ist ein nicht ganz unbedeutender Knotenpunkt verschiedener Highways und Bahnlinien, Heimat für knapp 650.000 Menschen (55% der Gesamtbevölkerung Manitobas). Winnipeg gilt auch als eine der kältesten Großstädte der Welt, somit ist es nicht verwunderlich, dass drei ihrer Töchter Curling-Weltmeister waren. Weniger bekannt dürfte sein, dass der Sänger Neil Young aus dieser Prärie-Oase kommt.

150 km „ Pffffffffft“ und ein Chipewyan

Saskatoon, Saskatchewan war eigentlich nur als ein weiterer Zwischenstopp geplant, hat aber inzwischen für uns einen besonderen Stellenwert. Alles hat ungefähr 300 km vor den Stadttoren angefangen. Gemächlich, Tempomat auf knapp 98 km/h eingestellt, gleiten wir über den Highway. Bei dieser Geschwindigkeit sind es eigentlich wir, die ständig überholt werden. Die allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung liegt hier meist bei 100 km/h, wir fahren aber des optimalen Benzinverbrauchs wegen fast genau regelkonform. Wie wir so dahin fahren, können wir es gar nicht glauben, dass wir auf einmal hinter einem Wohnmobil mit Bremer Kennzeichen herfahren. Wir überholen, winken höflich und weiter. Nach einer Weile werden wir von den Bremern wieder überholt. Das geht dann noch ein bisschen so weiter, bis der Herr aus Bremen uns andeutet zu stoppen. Machen wir, sind von den Seidensocken in Trekkingsandalen, die der Herr aus Bremen aus dem Auto streckt, verstört und plauschen ein bisschen.

Gerade, als wir zum Auto zurückgehen wollen, vernehmen wir es: ein leises „Pffffffffft“. Leise, stetig und deutlich. Wir haben einen Platten. Mitten im Nirgendwo, inzwischen 150 km vor den Stadttoren. Super! Das ist stimmungsfördernd. So stellt man sich einen gemütlichen Samstagabend vor. Die Karkasse hat einen Riss, und langsam aber sicher verliert der Reifen Luft. Wie ein LKW-Reifen, für den Baustellenbetrieb konzipiert und mehrfach verstärkt, einfach reißen kann, ist und bleibt ein Rätsel. Da der Reifen noch recht viel Luft hat, beschließen wir, bis zur nächsten Service-Station weiterzufahren. Diese hat dann in einem namenlosen Kaff leider zu. Das besagte namenlose Kaff feiert an diesem Tag seinen hundertsten Geburtstag und alle feiern. Es wird ja immer besser. Lange Rede, kurzer Sinn: letztendlich fahren wir bis Saskatoon, der Reifen ist Gott sei Dank nicht geplatzt, nur ein bisschen platter. Erschöpft, genervt und todmüde schaffen wir es, das letzte Hotelzimmer der Stadt zu ergattern (zeitgleich findet ein Kongress der Zeugen Jehovas statt; soviel Batik auf einmal macht fast blind…).

Todd, Todd Struck von der Rezeption des Radisson Hotel Saskatoon, schafft es nach endlosen Telefonaten, einen 24-Stunden-Reifenservice aufzutreiben. So treffen wir unseren ersten echten Indianer. Trevor vom Stamme „Good Year“. Nein im Ernst, Trevor ist vom Stamme Chipewyan, und wir haben viel Spaß beim gemeinsamen Unter-dem-Auto-Rumgekrieche und Reifenwechseln, schließlich wiegt so ein Ding ja 120 kg. Gegen 24 Uhr fallen wir todmüde und erschöpft in die Federn. Am nächsten Morgen treffen wir uns noch einmal mit Trevor, diesmal in der extra für uns geöffneten Werkstatt zum Reifenkauf. Nur leider gibt es unsere Reifengröße nicht, und so müssen wir mit plattem Reserverad nach Edmonton, der Hauptstadt von Alberta, fahren. Trevor hat uns, da wir uns am Abend davor lange über seine indianischen Wurzeln und das Leben der Indianer im 20. Jahrhundert unterhalten haben, einen Sweetgrass-Zopf mitgebracht. Dessen Spitze zündet man mit einem Streichholz an, bis es glimmt, wedelt ein bisschen (auf keinen Fall pusten) und fächert den Rauch über Kopf und Brust und über Gegenstände, die Schutz und Glück brauchen könnten. Chipewyan-Indianer machen dies jeden Morgen und vor allem vor großen Reisen. So etwas können wir gut brauchen, sind wir ja auf einer großen Reise. Es freut uns sehr, ein so ehrliches und herzliches Geschenk bekommen zu haben, und wir sind fast ein bisschen beschämt, Trevor nicht wenigstens eine Kleinigkeit aus unserem Land oder unserer Kultur mitgeben zu können.

Edmonton, fünf Reifen und ein „kleiner Franzose“

Die 550 km von Saskatoon nach Edmonton erscheinen uns schon fast wie ein kleiner Ausflug. Wir sind froh, ohne weitere Probleme anzukommen. Sofort machen wir uns an die Behebung des Reifenproblems. Nun ist man verlockt zu denken, alles kein Problem. Nur stellt sich leider heraus, dass nicht nur der platte Reifen ein Problem darstellt, sondern gleich alle Reifen. Wir sind auf Continental Reifen („engineered in Germany, made in Slovenia“) unterwegs. Diese sind seit 40.000 km auf dem Auto und alle weisen Risse und Brüche auf. Ärgerlich. Extrem ärgerlich. Es bleibt uns nichts anders übrig, als alle fünf Reifen zu wechseln. Zum Glück ist das hier kein Problem, ist Edmonton doch eine Millionenstadt mit ungefähr 1,2 Mio. Einwohnern. Vier Stunden, fünf neue Reifen und einen nicht unerheblichen Geldbetrag später steht Knut mit neuen „Schuhen“ da.

Beim Befestigen des Reserverades haben wir allerdings festgestellt, dass die massive Stahlhalterung (8 mm Stahl) große Risse aufweist und es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit ist, bis die gesamte Halterung abreißt. Nur, wo kann man so etwas schweißen lassen? Wir fragen nach und werden von einem Mitarbeiter des Reifendienstes in die Tiefen des lokalen Industriegebietes begleitet. Zu einem Unternehmen, das normalerweise LKW-Anhänger baut und repariert. Dank der netten Fürsprache des Reifendienst-Mitarbeiters werden wir kurz eingeschoben, ein angeblich „kleiner Franzose“ werde das schnell schweißen. Der „kleine Franzose“ ist in Wirklichkeit Steve und kommt aus Ontario, seine Mutter aus Frankreich, daher der Spitzname. Steve schweißt die Risse, setzt eine Verstärkung ein und fertig.

Somit ist Knut für den Trip nach Alaska gerüstet. Bis es so weit ist, werden wir noch einmal um die 800 km auf dem Trans-Canada-Highway zurücklegen, und dann geht es ab Dawson Creek, Alberta zu Füßen der Rocky Mountains auf einen Straßenmythos. Davon mehr das nächste Mal!

 

 

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