QUE – MON – TOR

Vive la France!

8.06.2008 – 01.07.2008

KANADA: QUEBEC/ONTARIO – DREI STÄDTE UND EIN WASSERFALL

Vom rauen und einsamen Norden geht es nun in den am dichtesten besiedelten Landstrich Kanadas. Wie Perlen auf der Schnur reihen sich die Städte Québec, Montréal und Toronto auf dem Trans-Canada-Highway aneinander. Fangen wir an.

Willkommen in Québec und „vive la République“, „vive la France“!

Nach einem Tag im Auto sind wir angekommen. In Québec. Sowohl in der Provinz Québec (der größten Kanadas) wie auch der Stadt Québec. Und in einer neuen Zeitzone (was wir nicht mitbekommen haben und so abends eine Stunde zu früh im Lokal eintreffen und etwas verwundert angeschaut werden, wir hätten die Reservierung ja erst in einer Stunde). Aber eines nach dem anderen. Von den Hopewell Rocks geht es quer durch New Brunswick bis zum St.-Lorenz-Strom, dem wir stromaufwärts bis zur Stadt Québec folgen.

Der Name der Stadt geht ausnahmsweise mal nicht auf einen Feldherren oder Fort-Gründer, sondern auf die Indianer zurück. Sie nannten den Ort „kebec“, was so viel wie „wo der Fluss enger wird“ bedeutet. Tatsächlich verengt sich der St.-Lorenz-Strom an dieser Stelle enorm. So war es kein Wunder, dass, die strategische Bedeutung des Ortes erkennend, die Franzosen bei „kebec“ bereits 1608 ein Fort errichteten. Das französische Stelldichein war nicht von allzu langer Dauer und 1759 überrannten schließlich die Engländer die Stadt, und aus war es mit „savoir vivre“ in Nordamerika. Könnte man meinen!

Ein paar Worte zu den französischen Bewegungen und Unabhängigkeitswünschen der Québecois: 1976 schrieb das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in seiner Ausgabe No. 48 auf Seite 118: „Bei den Wahlen zum Provinzparlament von Quebec siegten die Separatisten. Das Ende der seit 1867 bestehenden Föderation Kanadas schien nahe – heute noch zweitgrößter Staat der Welt, Wirtschaftsriese im Norden Amerikas, Eckpfeiler des Nato-Bündnisses, morgen womöglich schon zerrissen von blutigem Bürgerkrieg, nur noch ein Rumpfstaat.“ Die Träumereien über eine mögliche Unabhängigkeit von Kanada gingen weiter und fanden im Referendum vom 30. Oktober 1995 ihren bisherigen Höhepunkt. Das Ergebnis war damals denkbar knapp: 50,58% stimmten gegen die Loslösung von Kanada, 49,42% stimmten dafür.

Québec City, das ist Frankreich à la miniature in Kanada. Im Gegensatz zu allen anderen Staaten Kanadas ist in Québec (dem Staat) Französisch die erste Amtssprache. Oui und Basta! Jakob, als Latinum- und Graecum- geschädigter bayerischer Abiturient versteht gleich gar nichts. Tina hat es dagegen schon leichter, spricht und versteht sie doch diese Sprache der Diplomaten und EM-Vorrunden-Nicht-Übersteher. Mit vereinter Sprachpower finden wir in die Stadt und sind begeistert. Québec gilt als die schönste Stadt des Kontinents, und diesmal haben die Reiseführer wirklich Recht. Kleine, verwinkelte Gassen, eine Stadtmauer (die einzige nördlich von Mexiko) und zahlreiche Cafés versprühen einen unwiderstehlichen Charme.

Vieux-Québec, die Altstadt, thront auf einem Hügel oberhalb des St. Lorenz-Stroms und bietet von der Terrasse Dufferin herrliche Ausblicke über den Fluss und das fruchtbare Umland. Bei einem Bummel verstehen wir schnell, warum diese wunderbare Stadt seit 1985 UNESCO-Weltkulturerbe ist; übrigens als erste Stadt Nordamerikas. Über 170 Stufen oder eine kleine Standseilbahn ist Vieux-Québec mit der Unterstadt, der Basse-Ville, verbunden. Einst war die Unterstadt nur eine schmuddelige Ansammlung von Lagerhallen und billigen Seemanns- Spelunken, heute dagegen ist alles schön renoviert, voll moderner Boutiquen und schicker Restaurants. Im strömenden Regen machen wir uns an die Besichtigung, genießen es, nach all den Shopping-Malls und Fast-Food-Lokalen mal wieder ein bisschen europäische Atmosphäre zu schnuppern. Manchmal bekommen wir fast das Gefühl, nicht in Kanada, sondern eher in der Bretagne oder der Normandie zu sein. Lange waren wir nicht mehr auf einem Platz mit Brunnen in der Mitte, gesäumt von einer Kirche, Cafés, Restaurants und kleinen Läden.

Der Tag geht schnell vorbei. Wir haben, die Stadt ist ja nicht besonders groß, fast alle Sehenswürdigkeiten gesehen, essen am Abend lecker und sind guter Dinge für die nächste Station unserer Reise, Montréal.

Montréal: der eine mag’s, der andere nicht…

Von Québec nach Montréal sind es nur „kurze“ 270 km, kaum im Auto, fast schon da. Jeder von uns ist sicher schon einmal an einem der unzähligen Poster für das Jazz Festival Montréal vorbei gekommen (gerne hängen diese Poster in den Wartezimmern von Ärzten) und hat sich irgendwie gedacht, dass dies sicher eine schöne Stadt sei. Eine Stadt, die nicht schön ist, hat ja kein solch weltbekanntes Festival. Oder? Da wir früh am Nachmittag ankommen, beschließen wir, es ruhig angehen zu lassen und einfach ein bisschen durch die Stadt zu spazieren.

Der erste Eindruck ist der einer nicht besonders lebhaften, eher tristen und sehr melancholischen Stadt. Die Gebäude grau, wenig Glas, kaum Grün in der Stadt, die Menschen schauen griesgrämig. Irgendwie schade, haben wir uns doch sehr auf diese Stadt gefreut. Etwas entmutigt starten wir am nächsten Tag einen neuen Versuch. Vergeblich. Wir finden keinen Zugang zu dieser Stadt. Ein Reiseführer beschreibt Montréal als die romantischste Metropole Kanadas. Das können wir nicht wirklich nachvollziehen, außer das Kriterium für Romantik ist, von Zeit zu Zeit ein knutschendes Pärchen zu sehen. In Montréal sind die Winter lang und die Sommer kurz. Findige Architekten und Stadtplaner haben deswegen Anfang der 60er Jahre begonnen, eine Stadt unter der Stadt zu bauen. Heute umfasst diese „zweite“ Stadt auf ca. 30 km Tunnel 200 Restaurants, 45 Banken, 40 Kinos und über 2.000 Läden. Dies mag sicher prima sein, ist doch der Vorteil, dass man auch im tiefsten Winter in Flip Flops zum Einkaufen gehen kann. Ein Nachteil in unseren Augen ist jedoch, dass oben nichts mehr los ist. Und den ganzen Tag „untertags“ zu verbringen, ist irgendwie nicht so klasse, wie es klingen mag. Die „zweite“ Stadt oder, wie der Franzose sagt, „Ville Souterraine“ strahlt mit ihren endlosen, neonerhellten Gängen und mangelhafter Lüftung wenig aus. Wir sind froh, dass wenigstens Hundebesitzer mit ihren Hunden nicht hier unten Gassi gehen und … (auch wenn man es heute ja in kleinen Plastikbeuteln wieder einsammeln muss).
Nach eineinhalb Tagen geben wir auf. Diese Stadt hat es nicht geschafft, uns zu begeistern, und wir verkürzen den geplanten Aufenthalt um zwei Tage. Weiter geht’s.

Von „Frankreich“ über Kanada nach Toronto

Montréal liegt hinter uns und vor uns eine Stadt mit vielen Gesichtern. Unser DUMONT-Reiseführer sagt über die Stadt, sie sei „sexy“ und das sei ja „nicht schlecht für eine Stadt, der Kritiker noch vor 20 Jahren das Temperament einer Schlaftablette bescheinigten.“ Jean-Paul Sartre ging noch härter mit ihr ins Gericht, indem er sie mit Orten wie Timbuktu oder Nischni Nowgorod verglich. All dies scheint nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass bis zum 2. Weltkrieg die Polizei in Theatern mit Stoppuhren über die maximale Dauer eines Bühnenkusses (20 Sekunden) wachte, sonntags keine Theater oder Kinos öffnen durften und sogar Alkohol an diesen (somit eh schon trostlosen) Sonntagen verboten war. Noch 1950 ließen Kaufhäuser der Stadt am „heiligen Sonntag“ Schaufenster verhängen, um Sündiges (und heute sündhaft teures) window shopping zu unterbinden.

So einiges hat sich geändert. Wir kommen gegen 17:00 Uhr an, finden uns schnell zurecht und sind von der Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Internationalität begeistert. Toronto, das ist wie New York vor 20 Jahren. Ein bisschen kleiner, aber dafür sauber oder wie sagte Peter Ustinov: „Toronto is like New York run by the Swiss“. Hier noch ein paar Facts über das heutige Toronto: zwei Drittel aller Toronter sind im Ausland geboren, über 80 ethnische Gruppen und die größte Italienische Gemeinschaft außerhalb Italiens leben hier nebeneinander, und in Toronto werden sagenhafte 79 verschiedene nicht-englischsprachige Zeitungen gedruckt (eine deutsche Zeitung haben wir allerdings nicht gefunden).

Der nächste Tag beginnt mit unserer üblichen (falls angebotenen) Sightseeing-Bustour. Bei strahlend blauem Himmel machen wir es uns auf dem Oberdeck eines Cabrio-Doppeldecker-Busses gemütlich und lassen uns fast zwei Stunden durch die Stadt schaukeln. Man mag über diese Touren denken, was man will, aber wir haben diese Art des „Kennenlernens“ einer Stadt schätzen und lieben gelernt. Diese Touren sind sehr hilfreich, um einen ersten Überblick zu bekommen, und bringen einen oft auch in Ecken, die man sonst vielleicht eher auslassen würde.

Jakobs Drang, auf jeden Turm zu steigen, findet hier in Toronto einen echten Höhepunkt: den CN-Tower. Mit einem gläsernen (Tür und kleiner Teil des Bodens) Außenaufzug geht es in 58 Sekunden schwindelerregende 346 m in die Höhe. Von hier bieten sich sagenhafte Ausblicke über die Stadt, den Lake Ontario und die klitzekleinen Menschen am Boden. Wie Ameisen. Auf der Aussichtsplattform rund um den ganzen Turm ist es schon nicht schlecht, aber es geht noch höher! Ein weiterer Aufzug, diesmal leider im Inneren des Turms, schießt uns noch einmal schlappe 101 m nach oben, auf den Sky Pod in 447 m Höhe! Hier geht es schon deutlich enger zu, aber es ist unglaublich. So hoch war noch keiner von uns je zuvor (außer natürlich im Flugzeug oder auf einem Berg). Von hier oben schauen die Menschen nicht mehr aus wie Ameisen, sondern eher wie Flöhe (mit den umgebenden Häusern als Haarbüschel). Am Rande sei erwähnt, dass der CN-Tower mit insgesamt 553,33 m das höchste Gebäude der Welt ist. Im Verhältnis dazu ist der nur sieben Jahre vorher fertig gestellte Münchener Olympiaturm ein Winzling: Aussichtsplattform auf 171 m Höhe und totale Höhe auch „nur“ 291 m. Das noch im Bau befindliche Burj Dubai war am 19. Juni 2008 sagenhafte 636 m hoch. Es sollen mal 818 m werden. Da es jedoch noch nicht eröffnet ist, gilt der CN-Tower momentan noch als das höchste Gebäude der Welt!

Unser erster Tag in Toronto war wunderbar, und schnell ist Montréal vergessen. Nach unseren bisherigen Eindrücken wird es Toronto auf den Spitzenplatz der inoffiziellen „Liste mit den Orten, an denen wir uns vorstellen könnten zu leben“ schaffen. Aber eine Geschichte wollen wir Ihnen nicht vorenthalten…

Tina – eine Ladendiebin?

Nach der vielen Natur und den eher winzigen Städtchen, in denen es meist nur einen Laden gibt, gehen wir nach unserem Besuch auf dem CN-Tower noch ein bisschen bummeln. Nun gibt es eine Klamottenmarke, die es (wahrscheinlich nicht nur) Tina besonders angetan hat: Abercrombie & Fitch. Also nix wie rein und schauen, was es hier gibt, was es in New York eventuell nicht gab. Man weiß ja nie. In den Verkaufsräumen von Abercrombie ist unserer Meinung nach immer die Heizung deswegen an, um, ja, um was zu erreichen? Auf den Abercrombie-Werbepostern haben die Jungs immer einen lupenreinen und gestählten Six-Pack-Bauch. Vielleicht sollen die Kunden ja animiert werden, sich auch ihrer Kleider zu entledigen und die weltgrößte „Wer hat den besten Six-Pack-Bauch“-Competition zu starten. Jakob lässt seinen Pulli an und somit sein Bäuchlein außen vor. Nach ein paar Minuten in dem Verkaufsetablissement ist es Tina jedoch zu doof und sie zieht ihren in New York gekauften und in ihrem rechtmäßigen Besitz befindlichen Pulli aus. Nun ist jener Pulli aber auch von Abercrombie. Der Prozess ihrer Entkleidung und das Verstauen des Pullis wird von einem geschulten Mitarbeiter beobachtet und interpretiert – falsch interpretiert. Dieser hat lediglich einen Abercrombie Pulli in einem Rucksack verschwinden sehen und somit auf dem besten Weg, ein Diebesgut zu werden. Schnell hat der entsprechende Pulloverfachverkäufer all seine Kollegen benachrichtigt, und wir werden auf Schritt und Tritt verfolgt, um zu schauen, was wir noch alles klauen. Nachdem sowohl Tina, Jakob als auch so einige Textilfachverkäufer knappe drei Kilometer Weg in dem Laden zurückgelegt haben, machen wir uns auf zur Kasse, zahlen den neuen Pulli und gehen. Die Textilfachverkäufer geben sich hektische Handzeichen, die Situation droht zu eskalieren. Wir kommen dem Ausgang gefährlich nahe und sind immer noch nicht entlarvt und gestellt. Wir passieren die Sicherheitsschranke. Nichts. Kurz danach und noch mehr nervöse Handzeichen später ertönt der Alarm. Dieb! Sofort ist der Pullifachverkäufer zur Stelle (hatte sich ja schon vorher strategisch clever am Ausgang positioniert) und hält uns auf. „Darf ich mal in die Tüte schauen“? Gerne. „Und in den Rucksack“? Gerne. Sein nun folgender Gesichtsausdruck spricht Bände: zuerst dieses siegessichere Lächeln („Ich wusste es doch, so schauen Diebe aus“) und dann, Millisekunden später, die tiefe Enttäuschung, stellt er doch fest, dass dieses Pullimodell hier gar nicht verkauft wird! Wir danken, gehen um die Ecke und brechen in schallendes Gelächter aus. Hatten wir doch die ganze Zeit bemerkt, wie die Fachverkäufer um uns rumwuselten und sich siegessicher auf den Triumph freuten. Und dann so was.

Sightseeing und die Überlegung, hier zu bleiben – für immer?

Der CN-Tower war nur der Auftakt. Jetzt geht Sightseeing los. In Toronto gibt es von allem ein bisschen, und das bisschen ist wirklich sehenswert. Wir bummeln über den St. Lawrence Markt, einem Gemüse- und Lebensmittelmarkt und trauen unseren Augen kaum. Gemüse, Obst, Fleisch, Fisch, Käse, Schinken, Salami und noch so manches und all das NICHT in Dosen mit der Aufschrift „Low Fat“ „Low hast noch nicht gesehen“ verpackt. Ein bisschen erinnert dieser Markt an daheim, an den Viktualienmarkt in München oder den wohl besten Markt Spaniens, „La Boqueria“ in Barcelona. Ok, Überleben gesichert (sollten wir bleiben).
Wie schon erwähnt, haben Toronto und New York so einiges gemeinsam. Auch hier gibt es ein Flatiron oder besser gesagt zwei: das eine ist dem Original in New York wirklich ähnlich, das andere halt nicht so sehr, wird aber gerne auch als Flatiron verkauft. Was dem New Yorker SOHO ist, ist dem Toronter der liebevoll restaurierte Historic Distillery District (wenn auch viel kleiner). Wir laufen am Hafen entlang, durch Chinatown, einem kleinen Park, bummeln durch Straßen, gesäumt von modernen Bürogebäuden, und saugen diese Stadt förmlich auf. Das Gebäude der Royal Bank of Canada mit seinen knapp 30 Stockwerken bietet eine Besonderheit. Der Wert der Immobilie steigt und fällt mit dem Goldpreis, sind alle Fenster doch mit insgesamt 7.000 kg Gold beschichtet, um eine möglichst ideale Wärmedämmung zu garantieren. Diese 7.000 kg Gold entsprechen einem Wert von ca. US-$ 200 Mio (bei einem Preis für die Feinunze – 31,1 Gramm – von US$ 927). Beachtlich! Wikipedia.org beziffert den Wert der Fenster allerdings nur auf $ 1 Mio, was uns auch wahrscheinlicher erscheint. Nähme man allerdings den Preis für einen 1 kg schweren Barren Gold von € 10.847 (Wert Juni 2008) als Grundlage, käme man immer noch auf sagenhafte € 76 Mio. Egal, sind einfach recht teure Fenster gewesen.

Torontos Architektur – die Zukunft aus der Baugrube

Das Toronto des 21. Jahrhunderts ist eine architektonisch vielfältige Stadt. Modernes neben Altem. Stararchitekten wie Frank Gehry (momentaner Umbau der Art Gallery of Ontario), Daniel Libeskind (abgeschlossener Anbau an das Royal Ontario Museum) oder Mies van der Rohe (Toronto-Dominion Centre) haben das Stadtbild geändert und geprägt. Aber auch bis damals eher unbekannte Architekten wie z. B. Viljo Revell. Mit seinem Bau der neuen City Hall im Jahre 1960 erhitzte er die Gemüter, heute ist man hier sehr stolz darauf. Angeblich schaut das Gebäude aus dem Weltall wie ein riesiges Auge aus; der wohl erste Blickkontakt mit Aliens… Auch Santiago Calatrava hat seine Spuren hinterlassen: 1990 baute er den Bürokomplex der BCE Bank um ein Ensemble historischer Gebäude herum.
Toronto war auch eine der ersten Städte, die Bauherren großer, öffentlicher Gebäude dazu verpflichteten, Grünflächen mit Kunst für die Gesellschaft zu verschönern. Nun war es in den Händen der Bauherren, und so mancher optierte für das Kunstmodell „springender Delfin“, die meisten jedoch wurden ihren Auflagen mehr als gerecht, und somit ist Toronto ein großes Freilichtmuseum moderner Kunst: Joe Fafard, Henry Moore, Don River oder Michael Snow als Beispiele.

Auch den verschiedensten Museen, falls nicht wegen Renovierung geschlossen, haben wir einen Besuch abgestattet. Das Polizeimuseum, im Foyer des Hauptquartiers der Polizei eingerichtet, erzählt mit vielen Artefakten die Geschichte der hiesigen Polizei. Von den Zeiten auf dem Fahrrad und mit der Trillerpfeife in der Hand bis hin zu den allermodernsten Techniken von DNA, Täterprofilen und Spurensuche nach mikroskopisch kleinen Beweisen. Das Royal Ontario Museum, das naturhistorische Museum der Stadt, beheimatet eine nicht unerhebliche Sammlung von Dinosaurierskeletten. Zu bestaunen gibt es sogar einen versteinerten, ca. 120 Mio. Jahre alten Biberbau in Form eines riesigen Bohrers. Für etwas Auflockerung und zu Tinas großer Freude gibt es hier auch ein Schuhmuseum mit schier unendlich vielen Schuhen (zum Glück nur zum Schauen und nicht Kaufen). Die weltberühmte Art Gallery of Ontario hat leider wegen Renovierung bis zum 14. November geschlossen. Bis dahin wird das Museum von Frank Gehry um- und ausgebaut. Das, was man bisher von außen sehen kann, lässt auf eine wirklich sensationelle Umbaumaßnahme schließen. Schön für das Museum, schade für uns, beheimatet dieses Museum doch die weltweit größte Sammlung von Plastiken von Henry Moore, eine angeblich wunderbare Sammlung französischer Impressionisten, die wohl bedeutendste Sammlung kanadischer Künstler des 20. Jahrhunderts und noch so einiges, was wir gerne gesehen hätten. Naja, ein Grund mehr, zurück zu kommen.

Die Niagarafälle, eine Reise zum „donnernden Wasser“

Von Toronto bietet sich ein Ausflug zum „achten Weltwunder“ an, die Niagarafälle. Die Fälle wurden schon oft als „Water on the Rocks“ verspottet. Oscar Wilde ging noch weiter und sagte trocken über die Fälle: „the second major disappointment of American married life“.

An der amerikanisch-kanadischen Grenze gelegen, sind die Fälle schlicht und ergreifend sagenhaft. Das Wort Niagara ist aus der Sprache der Indianer und bedeutet in etwa „donnerndes Wasser“. Auf der amerikanischen Seite liegen die „kleinen“ Fälle mit einer Breite von 363 m und einer Höhe von 55 m, auf der kanadischen Seite sind die Fälle 792 m breit und 52 m hoch. Inzwischen besuchen jährlich an die 12 Mio. Besucher die Fälle, und somit ist man eigentlich nie alleine. Man muss die Massen einfach auszublenden versuchen und nur Augen für dieses Kunstwerk der Natur haben. Staunend spazieren wir an der Promenade entlang. Das Tosen ist so ohrenbetäubend laut, dass man sich kaum unterhalten kann. Kein Wunder, stürzen hier doch 14 Mio. Liter in der Minute hinab.

Natürlich können wir es uns nicht nehmen lassen, mit der „Maid of the Mist“ in die Fälle zu fahren. Wir haben schon viele Fotos mit dem kleinen weißen Boot gesehen, wie es sich tapfer und kräftig seinen Weg fast bis in die Fälle bahnt. Aber dass es so beeindruckend ist, hätten wir nicht gedacht. Diese enorme Gewalt, die in den Himmel aufsteigende Gischt, und man selber auf einem kleinen Boot mittendrin. Überwältigend! Und kurz bevor das Boot dann umdreht, ist man tatsächlich von drei Seiten von den Fällen umgeben. Und dank der Gischt klitschnass!

Schon Donald Duck und so einige andere Verrückte haben sich in den verschiedensten Behältern die Fälle hinunter gestürzt. Einige haben überlebt, andere nicht. Beeindruckend ist jedoch die Geschichte von Roger Woodward: nach einem Bootsunglück treibt der damals Siebenjährige (1961), nur mit Badehose und Schwimmweste bekleidet, auf die Fälle zu. Keinem gelingt es, dem Jungen ein Seil zuzuwerfen, und er stürzt die Fälle hinunter. Einem Wunder gleich wird er wenig später von Passagieren und der Besatzung der „Maid of the Mist“ geborgen, lebend und mit kaum einer Schramme.

Bei einem so magischen Ort wie den Niagarafällen ist es fast schon Ehrensache, dass es die eine oder andere Merkwürdigkeit zu berichten gibt. So zum Beispiel aus der Nacht des 29. März 1848. In dieser Nacht verstummten die Fälle. Zahlreiche Bewohner der umliegenden Orte wachten nachts auf, da das unheimliche Tosen der Fälle nicht mehr zu hören war. Die Fälle lagen trocken. Keiner wusste oder ahnte, wo das Wasser hingegangen sein könnte. Die Kirchen füllten sich schnell, die Leute beteten, das Wasser möge wieder kommen, und es kam wieder. Aber wo war es geblieben? Schließlich war es fast 30 Stunden „weg“. Was war passiert? Ein enormer Sturm hatte auf dem Eriesee riesige Eisschollen just in den Abfluss des Sees getrieben und somit ein Ablaufen des Wassers verhindert – die Niagarafälle lagen so trocken. Trocken lagen die Fälle noch zwei weitere Male: 1936 froren die Fälle einfach zu. Ein mehrere hundert Meter breiter Eisvorhang bildete eine wohl sagenhafte Eisskulptur. Im Juni 1969 legten die Amerikaner ihren Teil der Fälle trocken, um geologische Forschungen und strukturelle Verstärkungen der Abbruchkante vorzunehmen – die erste von Menschenhand vorgenommen Trockenlegung der Fälle.

Ein solches Naturspektakel ist nur sehr schwer zu beschreiben, deshalb haben wir ein zweiminütiges Video über die Niagarafälle eingestellt. Viel Spaß dabei!

Schweren Herzens lassen wir Toronto hinter uns. Es war ein bisschen wie Heimat. Wir haben die Füße hoch gelegt, die Seele baumeln lassen und einfach eine wunderbare Zeit hier gehabt. Wir sind uns sicher, dass wir auf die eine oder andere Art zurückkommen werden. Hasta luego, Baby!

 

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