Nova Scotia

McLobster und Meer!

08.06.2008 – 17.06.2008

KANADA: NOVA SCOTIA

Bären, Elche, endlose Prärien, Wälder und Seen. Wir sind angekommen in diesem unglaublich großen und abwechslungsreichen Kanada.

Groß, größer, Kanada

Kanada umfasst 9.984.670 km² und ist somit genau 29,56-mal so groß wie Deutschland und fast so groß wie ganz Europa. Die größte Nord-Süd-Ausdehnung über Land beträgt 4.634 km, die größte Ost-West-Entfernung beträgt 5.514 km. Im Lauf der nächsten Wochen werden wir das gesamte Land von Ost nach West „erfahren“ und dabei sage und schreibe sieben Zeitzonen durchfahren. Vor uns liegen endlose Weiten, hohe Berge und viele Abenteuer. Einen Großteil der Strecke werden wir auf dem Trans-Canada-Highway (TCH) zurücklegen. Und auch diese Straße hat es in sich: mit 7.821 km ist es die längste durchgehende nationale Straße der Welt. Wir werden nicht jeden Meter davon abfahren, da der TCH in St. John, Neufundland beginnt und wir da gar nicht hinkommen, aber aller Voraussicht nach werden es schon ein paar Kilometerchen werden.

Nova Scotia reloaded

Nach unserer glücklichen Grenzüberquerung bei Calais ist es über den Highway nicht weit bis nach St. John, New Brunswick. Über diese Stadt gibt es wirklich nicht viel zu sagen. Die meisten Kanadareisenden, die es nach St. John verschlägt, kommen nur aus einem einzigen Grund hierher: die Fähre nach Digby, Nova Scotia. Auch wir wollen diese Fähre nehmen, erspart diese uns doch einen Tag Fahrt um die Bay of Fundy herum. Auch wenn St. John heute nicht mehr allzu aufregend ist, hat sie doch als dieerste mit allen Stadtrechten eingetragene Stadt Kanadas (1785) ihren Platz in der Geschichte gefunden.

Die Überfahrt nach Digby im Südwesten Nova Scotias dauert knappe drei Stunden, und wir hoffen auf ein bisschen Sonne, um die Überfahrt auf dem Außendeck verbringen zu können und vielleicht einen Wal zu erspähen. Nach kurzer Zeit jedoch räumen auch wir das Außendeck und suchen Wärme und Schutz vor den unwirtlich blasenden Winden im Inneren des Schiffes. Sobald wir unsere Reisekarten auseinandergefaltet haben, bekommen wir von einigen der Mitreisenden gut gemeinte Tipps über eine mögliche Route. Schnell stellen wir fest, dass es angeblich immer da am schönsten ist, wo der jeweilige Tippgeber lebt. Und unisono behaupten alle, der Rest Nova Scotias sei nicht wirklich sehenswert. Wohlerzogen bedanken wir uns bei allen und planen unbeeindruckt weiter.
Nach knapp zwei Monaten sind wir also wieder in Nova Scotia, dem eigentlichen Ausgangspunkt unserer Reise. Und auch hier hat inzwischen der Sommer begonnen, wenn auch noch sehr zaghaft.

Kammmuschelfangflottenheimathafen und mehr Meer

Der Fischerort Digby, malerisch und romantisch an der Annapolis Bay gelegen, erscheint auf den ersten Blick wenig bedeutend. Doch dieser kleine Ort (fast am Ende der Welt) ist der Heimathafen der größten Kammmuschelfangflotte der Welt. Man fragt sich jetzt, was denn die Kammmuschel (engl. scallop) eigentlich ist, mal abgesehen von sehr lecker. So ziemlich jeder auf der Welt kennt deren Form. Zum einen ist die Muschel das Symbol für alle christlichen Pilger: die Jakobsmuschel ist deren Pilgerzeichen. Zum anderen ist die Muschel das Symbol eines der mächtigsten Ölkonzerne weltweit: Shell. Shell verwendet eine auf dem Kopf stehende stilisierte Kammmuschel als Firmenlogo. Digby und die Kammmuschel sind untrennbar miteinander verbunden und somit verwundert es nicht, dass dieser kleine Ort jedes Jahr im August ein großes Kammmuschel-Festival begeht. Scallops bis zum Umfallen – leider ist erst Juni.

Von Digby machen wir einen wunderbaren Ausflug zum Digby Neck, einer 74 km lagen Nehrung, bestehend aus dem Digby Neck und zwei durch Fähren miteinander verbundene Inseln. Die kleine Straße, Route 217, führt durch dichte Wälder, entlang zerklüfteter Küsten, durch winzige Fischerorte und fruchtbares Farmland. Ein paar Kilometer nach der ersten Fährübersetzung (Digby Neck – Long Island) lässt ein unscheinbarer Parkplatz nicht auf das schließen, was von dort per pedes in gut 40 Min zu erreichen ist: der Balancing Rock. Wir haben ihn inzwischen auf so einigen Postkarten und im Reiseführer gesehen, aber als wir über eine steile, in den Fels der Steilküste gebaute Holztreppe schließlich ankommen, ist er um ein Vielfaches beeindruckender, als die Fotos schließen lassen. Der Balancing Rock ist eine durch Erosion entstandene freistehende (die Hälfte der Grundfläche schwebt sogar über dem Wasser), ca. 15 m hohe und ca. 2 m breite Steinsäule. Man könnte meinen, dieses Kunstwerk der Natur mit einem beherzten Fußtritt umschmeißen zu können (so nah käme man, auch wenn man wollte, gar nicht hin; wahrscheinlich genau deswegen!), aber seit Jahrhunderten trotz diese Säule den heftigen und kräftigen Stürmen des Nordatlantiks, ohne ins Wackeln zu geraten.

Wir fahren bis zum endgültigen Ende der Route 217 auf Brier Island. Am Ende der Straße, am Ufer und von einer Steinmauer geschützt (so dass man nicht aus Versehen weiter und ins Meer fährt) steht sogar ein Schild mit dem Hinweis, dass es hier nicht weiter geht: end of road. Auf Brier Island hat man wirklich das Gefühl, am Ende der Welt zu sein. Die Insel ist in dichten Nebel gehüllt, in der Ferne ertönt das Nebelhorn des Leuchtturms, die Häuser sind vom Wind „angeschrägt“, und ein einsamer Hund läuft vor uns durch den Nebel über die Straße. Etwas später lichtet sich der Nebel ein wenig, und es bieten sich uns beeindruckende Blicke über das Meer hin zum sich ständig verändernden Horizont.

Biberschwanz, eine „German Bakery“ und hoffentlich kein Bär

Die Halbinsel Nova Scotia wird von insgesamt vier Routen, alle entlang der Küste, umgeben: der Evangeline Trail entlang der Westküste, die Lighthouse Route im Süden, der Sunrise Trail im Norden und der Marine Drive im Osten. Viele leckere Kammmuscheln später machen wir uns auf dem Evangeline Trail entlang der Bay of Fundy auf die Weiterreise. Unsere erste Station ist Annapolis Royal. Dieser kleine Ort war 1605, zwei Jahre bevor die Engländer in Jamestown, Virginia (USA) ihre erste Kolonie gründeten, die erste europäische Kolonie in der damals noch Neuen Welt. Wer genau, was und wie lassen wir an dieser Stelle mal beiseite, aber es waren Franzosen. Erwähnenswert ist jedoch folgende Anekdote: die langen, harten und saukalten Winter machten den französischen Siedlern sehr zu schaffen. Um für gute Stimmung und gestärktes Gemeinschaftsgefühl zu sorgen, ließ man sich etwas einfallen: einige der Siedler gründeten den „Orden der guten Zeiten“ und verpflichteten sich, einmal in der Woche ein großes Festmahl für die Gemeinschaft auszurichten. Es gab eine Menge Leckereien, z. B. Biberschwanz, Elchbraten und Lachs. Nach nur ein paar Jahren war es jedoch mit dem savoir-vivre am Ende der Welt vorbei. Die Siedler wurden aus politischen Gründen von der Regierung in Paris zurückgepfiffen und die Kolonie wurde aufgegeben.

Voller Entzücken finden wir eine „German Bakery“ und decken uns mit frischem (nicht so „lommeligem“) Brot, Rosinenschnecken und Zimtstückchen ein. Der Bäcker, dem Dialekt nach aus den neuen Bundesländern, kam vor sechs Jahren hierher und erzählt uns, dass es inzwischen sehr gut laufe. Es habe ein bisschen gedauert, die Einheimischen von der doch um Lichtjahre besseren Qualität des deutschen Brotes zu überzeugen. Uns schmeckt’s und freut’s.

Wir verlassen den Evangeline Trail und fahren ostwärts quer durch das fast vollständig bewaldete Innenland Nova Scotias. Wald so weit das Auge reicht. Auf halber Strecke gelangen wir zum Kejimkujik National Park (ein scheinbar nicht nur für uns unaussprechlicher Name, denn der Park wird umgangssprachlich nur „Kesch“ genannt). Am Eingang werden wir gewarnt, es gebe hier Schwarzbären, und die Dame hofft, sollten wir welche treffen, dass wir im Auto sitzen, sonst wäre das gar nicht lustig. Um sich auch allen eventuellen Klagen auf Schadensersatz endgültig zu entziehen, erhalten wir eine Broschüre mit Tipps und Tricks zum richtigen Verhalten mit Schwarzbären. Ein paar Beispiele: nicht rennen – der Bär rennt schneller (ja was denn dann?); nicht auf Bäume klettern – Bären klettern wie Affen (sind aber natürlich keine). Oder: dem Bären nicht in die Augen schauen – mögen Bären nämlich nicht. Sollte der Bär trotz aller beherzt angewendeten Verhaltensregeln aggressiv werden und angreifen, bleibt nur der letzte Rat: beten! Nein im Ernst, die Broschüre schlägt dann vor, sich selber wie ein Bär zu verhalten, die Arme auszubreiten und zu fauchen oder mit dem Bären zu sprechen, um ihm zu zeigen, dass man ein Mensch ist. Aha! Wenn’s hilft! Würden Sie sich, geschätzter Leser, bei der Nahrungssuche von einer muhenden Kuh (sie zeigt Ihnen gerade, dass sie eine solche ist) überreden bzw. „übermuhen“ lassen, lieber mit ihr zu grasen als sie gewaltsam zu töten und genussvoll zu verschlingen?

Nun denn, wir werden schon auf keinen stoßen. Wir haben auch gelernt, dass Bären nicht gerne schwimmen, und so mieten wir uns ein Kanu und paddeln los, den Park per Boot zu erkunden. Die ersten Meter lassen sich noch etwas wackelig an, schließlich haben wir beide so etwas noch nie gemacht, doch mit ein bisschen Übung schaffen wir es (fast), geradeaus zu paddeln. Es ist herrlich und macht unheimlich viel Spaß. Wir genießen die Ruhe, die nur hin und wieder von Vogelschreien oder dem Rascheln der Bäume unterbrochen wird. Wir erforschen kleine Seitenarme, umschiffen Inseln aus Seerosen und wagen uns sogar ein Stückchen auf einen See hinaus. Apropos Biberschwanz: die Franzosen haben sie damals gegessen, wir sehen einen und zum Glück mit Biber dran. Nach knapp zwei Stunden legen wir wieder an, fallen beim Aussteigen nicht ins Wasser und fahren weiter Richtung Ostküste.

Am Nachmittag um 16:20 Uhr ist dann ein für uns besonderer Moment: wir sind nun seit 10.000 Kilometern on the road! Ein kurzes Gratulations-Hupen in den Wald, und weiter.

Lüneburg, Marlon Brando und der Kabeljau

Tags darauf geht es nun auf der Lighthouse Route in nordöstlicher Richtung weiter. Wie die Lighthouse Route zu ihrem Namen gekommen ist, bleibt uns ein Rätsel, sehen wir doch nur einen einzigen Leuchtturm. Diese Route gilt als die schönste und überlaufenste der vier Routen. Davon ist zum Glück nichts zu spüren, und so können wir das Städtchen Lunenburg in aller Ruhe besichtigen. Seinen Namen hat es auf Grund der zahlreichen deutschen Siedler, hauptsächlich aus Lüneburg, die hier in den Jahren 1751 – 1753 ihr Glück suchten. Die Geschichte Lunenburgs ist reich und die Stadt sogar ein UNESCO-Weltkulturerbe. Hier stehen unzählige, liebevoll restaurierte Häuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Vielen bekannt dürfte der berühmte, auf allen US-Dollar-Noten abgedruckte Satz „In god we trust“ sein. In den Zeiten vor globaler Überfischung war der Kabeljau die Grundlage des Wohlstandes in Lunenburg. Auf einer der nicht wenigen Kirchen Lunenburgs weht als Wetterhahn kein Hahn, sondern ein Kabeljau! Da das englische Wort für Kabeljau „cod“ ist, hieß es hier früher „in cod we trust“. Seit dem Verbot des Kabeljaufangs ist es mit diesem „Glauben“ aber leider vorbei. Für die Cineasten unter den Lesern noch eine kurze Geschichte: Der Film „Die Meuterei auf der Bounty“ mit Marlon Brando von 1963 war (angeblich) der erste Hollywood-Film, für den das Schiff extra gebaut wurde. Und zwar hier in Lunenburg. Man kann sich vorstellen, wie stolz man dort darauf ist.

Nach Lunenburg stellt sich für uns die Frage, wie wir nach Peggys Cove weiterfahren. Auf der kurvigen, aussichtsreichen und langen Lighthouse Route entlang der Küste oder über die Schnellstraße. Wir entscheiden uns für erstere Variante. Zugegeben, die Strecke ist herrlich. Die Straße windet sich entlang des Küstenverlaufs, und es eröffnen sich traumhafte Blicke. Nur dauert es für scheinbar recht wenige Kilometer ewig, und der Kupplungsfuß und die rechte Hand (Schaltung) schmerzen ein wenig, wenn man alle 10 – 15 Sekunden schalten muss, um den LKW um die Kurve zu wuchten und den Berg hoch zu bekommen. Auf der Strecke passiert man bei Baywater und kurz vor Peggys Cove zwei Gedenkstätten für die Opfer des Swissair-Fluges SWR-111 vorbei. Die SWR-111 war am 2. September 1998 8 km vor der Küste Nova Scotias ins Meer gestürzt. Alle 229 Insassen hatten den Tod gefunden. Die ersten Schiffe, unter anderem zahlreiche Fischerboote, an der Absturzstelle waren eben aus Peggys Cove und Bayswater gekommen. Der Aufprall des Flugzeuges auf dem Wasser war so enorm, dass er sogar von Seismographen in Halifax (Entfernung zur Absturzstelle ca. 56 km) und Moncton (Entfernung zur Absturzstelle ca. 220 km) registriert wurde. Grund für den Absturz war seinerzeit ein Kabelbrand geswesen.

Das Örtchen Peggys Cove hat für deren Bewohner einen riesigen Nachteil. Es ist so malerisch und pittoresk, dass die Gesamtfläche der für die Besucher gebauten Parkplätze inzwischen die Gesamtfläche des kleinen Ortes übertrifft. Aber Peggys Cove ist wirklich wunderschön: um eine kleine natürliche Bucht angelegt, in kräftigen Farben gestrichene Häuser und sonst nur das je nach Wetter blaue, grüne oder schwarze Meer. Bei uns war es natürlich schwarz. Peggys Coves Leuchtturm ist angeblich der meist Fotografierte des Landes; nicht besonders hoch steht er auf in der letzten Eiszeit glatt geschliffenen mächtigen Felsbrocken und wirkt fast wie ein Farbklecks in einem überdimensionalen Becher voller grauer Murmeln, mit dem die Meeresgötter vor langer, langer Zeit spielten…

Am späten Nachmittag kommen wir nach ganz genau zwei Monaten zum zweiten Mal nach Halifax. Was für ein Unterschied zum ersten Mal: alles hat offen, die Cafés haben ihre Tische nach draußen gestellt, die Menschen sind fröhlich und zahlreich (uns wundert, wo die im Winter alle sind), und man kann ohne lange Unterhose vor die Tür. Wir bleiben eine Nacht. Der Norden ruft.

Cape Breton, das Telefon und 16 Meter Tidenhub

Von Halifax folgen wir diesmal nicht der Küstenstraße, sondern der Autobahn gen Norden nach Cape Breton. Ursprünglich eine Insel, ist es heute mit einem in einer tiefen Meeresenge aufgeschütteten Damm mit dem Festland verbunden. Im Jahre 2003 wurde Cape Breton vom Magazin National Geographic Traveler nach den norwegischen Fjorden auf Platz zwei der Orte mit dem nachhaltigsten Tourismus weltweit gelistet. Unser Ausgangspunkt für die Erkundung des Capes ist Baddeck. Der kleine Ort, am Bras d’Or Lake gelegen, hat ein kleines, unscheinbares Museum, die Alexander Graham Bell National Historic Site. Bell, Erfinder des Telefons, hatte am Bras d’Or sein Sommerhaus, in dem er bis zu seinem Tode im Jahre 1922 37 Sommer verbrachte. Noch im stolzen Alter von 72 Jahren hatte Bell 1919 mit dem von ihm erfundenen und konstruierten Tragflügelboot HD-4 den dann für zehn Jahre gültigen Geschwindigkeitsrekord auf Wasser von 110 km/h aufgestellt.

Auf dem Cabot Trail, einer knapp 300 km langen Rundstrecke um Cape Breton herum, lässt sich wunderbar die Gegend erkunden. Ursprünglich ist der Cabot Trail 1932 gebaut geworden, um einsamen und abgelegenen Fischerorten Anschluss an die Zivilisation zu gewähren. Heute ist er der Publikumsmagnet der Region. Im Cape Breton Highlands Nationalpark machen wir eine Wanderung auf eine kleine Landzunge. Dort weht es so stark, dass es einen fast wegbläst, und mit 9 Grad ist es nicht gerade warm. Dafür werden wir mit einer Walsichtung von einer der Klippen hinab belohnt. Natürlich wissen wir nicht, was für ein Wal das war, aber es war ein Wal. So große Fische – ein Wal ist ein Säugetier – gibt es ja sonst gar nicht. Der Cabot Trail bietet immer wieder endlose und herrliche Ausblicke über das Meer oder das Cape. Es ist ein echtes Vergnügen. Bei Meat Cove erreichen wir den bisher nördlichsten Punkt unserer Reise, nördlicher kommen wir erst wieder in Alaska. Ab jetzt heißt es erst mal: westlich!

Von Cape Breton geht es nun also Richtung Südwesten. Wir wollen am nächsten Tag knapp 600 km zurücklegen und müssen auch noch recht pünktlich an den Hopewell Rocks sein. Warum? Nova Scotia und New Brunswick schauen auf der Landkarte ein bisschen wie ein auf dem Kopf stehendes „U“ aus. Zwischen den beiden Küstenteilen liegt die Bay of Fundy, über die wir ja zu Beginn mit der Fähre geschippert sind.
In der Bay of Fundy findet zweimal täglich der gewaltigste Tidenhub der Welt statt, an manchen Stellen beträgt der Unterschied zwischen Ebbe und Flut 16 m! Die täglich zweimal bewegte Wassermenge entspricht in etwa der Wassermenge, die sich täglich aus allen Flüssen weltweit in die verschiedenen Meere ergießt. In Zahlen bedeutet das: 14.000.000.000 t. Im Vergleich dazu sind die 14.000.000 l, die minütlich die Niagara-Fälle hinabstürzen (0,0001% der in der Bay of Fundy bewegten Wassermassen) verschwindend gering. Allein bei Ebbe im Minas Basin am östlichen Rand der Bay of Fundy „gewinnt“ das Land sagenhafte 40.000 Hektar (400 km²) dazu.

Nun richten sich Ebbe und Flut ja leider nicht nach Öffnungszeiten oder unserem Reisetempo, so ist es wichtig, dass wir nicht viel später als 16:00 Uhr an den Hopewell Rocks eintreffen. An dieser Stelle kann man über eine Treppe bequem die Steilküste hinabsteigen und zwischen den Felsen auf dem Meeresboden spazieren. Ebbe ist an diesem Tag um 17:50 Uhr, und somit können wir noch sehr eindrucksvoll den Rückgang des Wassers beobachten. Einige der Felsformationen, die Flowerpot Rocks, schauen aus wie riesige Blumenvasen. Durch den ständigen Rück- und Zulauf des Wassers wird unten immer mehr Felsen abgetragen, während oben alles unverändert bleibt. Bei Flut ragen sie dann nur noch als winzige Inselchen aus dem Wasser. Wir spazieren also auf dem Meeresboden durch diese bizarren Formationen und sind von der schieren Gewalt der Natur überwältigt. Der Tidenhub in der Bay of Fundy ist so gewaltig, dass er bei Annapolis Royal sogar zur Stromgewinnung dient: dort steht das einzige Gezeitenkraftwerk Nordamerikas und produziert Strom für etwa 10.000 Haushalte.

Nova Scotia hat unglaublich viel zu bieten, und etwas schweren Herzens machen wir uns nach zwei wunderschönen Wochen aus diesem eher unbekannten Eck der Erde auf die Weiterreise. Quebéc und Montréal, am St. Lorenz-Strom gelegen, und Toronto am Lake Ontario warten darauf, von uns entdeckt zu werden.

 

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