Kauai

Die Grüne!

25.11.2008 – 01.12.2008

HAWAII: KAUAI, THE GARDEN ISLAND

Perlen gleich reihen sich 137 Inseln aneinander. Es sind die isoliertesten Inseln weltweit. In alle vier Himmelrichtungen sind sie umgeben von tausenden von Kilometern endlosem Wasser, dem Pazifik.
Entstanden sind diese sagenumwobenen, von Geistern und Zwergen bewohnten, von einer Feuergöttin und unzähligen weiteren mythischen Gottheiten bestimmten und lange Zeit von illustren und paradiesvögelgleichen Königen regierten Inseln aus den Urgewalten der Natur, Feuer und Wasser. Seit kurz nach dem Urknall ist Muttererde auf den Koordinaten 18,92°N und 155,27°W kreativ und zugleich zerstörerisch aktiv.

Genau hier an dieser Stelle befindet sich ein so genannter Hotspot, ein Zentrum vulkanischer Aktivität. Dieser Hotspot ist im Gegensatz zu „normalen“ Vulkanen nicht an der Schnittstelle zweier tektonischer Platten, sondern irgendwie muss man sich das als Loch im Erdmantel vorstellen, aus dem stetig Magma aus dem Innersten der Erde nach oben quillt. Und dies sagenhafte fünf Kilometer unter der Wasseroberfläche. Unerreichbar und doch aller Quell des Lebens, hier in der Mitte des Pazifiks. Dort unten liegt die Geburtsstätte all dieser 137 Inseln, die unter dem Sehnsüchte weckenden Namen „Hawai’i“ zusammengefasst sind.

Nur auf einer der Inseln gurgelt und gluckert die Lava noch bis an die Oberfläche, auf Big Island. 30 km vor der Ostküste Oahus wächst auch schon das nächste Paradies heran. Noch fehlen der „Insel“ Loihi 969 Meter, bis sie die wilden Fluten des Pazifiks durchbrechen wird. Vorsichtigen Schätzungen nach wird das aber noch knappe 10.000 Jahre dauern. Also Zeit genug für die geplatzte amerikanische Immobilienblase sich zu erholen…

Von Lämpchen, Trillerpfeifen und Leis

Von L.A. aus geht es in knappen sechs Flugstunden über den offenen Pazifik. Die meisten Passagiere an Bord haben wahrscheinlich noch nie so genau den Sicherheitsanweisungen der Stewardess zugehört und sich die Lage der Schwimmweste gemerkt. Besonders „beruhigend“ wirkt auf uns die Aussage, dass jede Schwimmweste ein kleines Lämpchen und eine Trillerpfeife hat. Als ob einen da draußen irgendjemand hören oder sehen könne. Immerhin sähen wir etwas und könnten uns mit Musizieren die Zeit vertreiben. Wir denken uns, es sei vielleicht sinnvoller, einen Müsliriegel und eine kleine Flasche Wasser an die Schwimmwesten zu nähen. Erstaunlich, dass es auf einem Transatlantikflug noch länger übers offene Meer geht, aber dort die Leute irgendwie entspannter sind. Komisch, aber dies sind wohl die kleinen Ungereimtheiten, die man auf solch einer Reise am Wegesrand entdeckt, nicht zwingend versteht, die aber irgendwie das Salz in der Suppe sind.

Als wir im Paradies ankommen, ist es stockdunkel, aber die Hitze ist erstaunlich. Aus dem klimatisierten Flughafen geht es an die frische Luft, und wir haben eher das Gefühl, in einem türkischen Dampfbad als auf einer den stürmischen Winden des Pazifiks ausgesetzten Insel gelandet zu sein.

Durch die Dunkelheit machen wir uns auf den Weg zu unserem Hotel und werden um 22 Uhr mit der ernüchternden Aussage begrüßt, dass alle Bars und Restaurants schon geschlossen haben,. Aloha Sperrstunde! Auch von dem Getöse und Gebrumme unserer nach Essen schreienden Bäuche lässt sich die Rezeptionistin nicht erweichen, noch etwas Essbares aufzutreiben. Hart wie eine Kokosnuss, die Dame. Aber es gäbe ja Room-Service. So sitzen wir auf unserem Balkon mit einer europäischen Käseplatte und lauschen dem Gangster-Rap und Reggae grillender Surfer am Strand. Kaum vernehmbar im Hintergrund hören wir das beständige Rauschen der Wellen.

Bei unserer Ankunft haben wir natürlich die traditionelle, herrlich duftende Blumenkette, das sog. Lei, umgehängt bekommen. Ein solcher Lei, einst den Göttern als Opfergabe vorbehalten, wird heute jedem Neuankömmling auf der Insel um den Hals gelegt. Je nach Dame, die einem den Lei liebevoll umhängt, ist es nun eine Frage des Geschmacks, ob man es schade findet, dass der ehemals damit verbundene Begrüßungskuss der Vergangenheit angehört.

Früher, zu Zeiten des hawaiischen Königreiches, gab es außerdem Leis aus Federn. Nicht für Missionare oder Touristen, nein, diesmal wirklich für Götter bzw. regierende Herrscher. Für so einen edlen und arbeitsaufwendigen Lei mussten damals an die 100 Vögel im wahrsten Sinn des Wortes ihre Federn lassen. Ob es einem engagierten Tierschützer im 20 Jahrhundert wohl nahezubringen wäre, dass Vögel ähnlich Blumen ja irgendwie nachwachsen und somit eine regenerative Quelle für den Bastelbedarf zur altertümlichen Götteranbetung darstellen? Wohl eher nicht – und so kann man heutzutage diese Feder-Leis nur noch im Museum bewundern.

Kauai – the Garden Island

Kauai ist, um es kurz zu machen, sensationell! Als nördlichste der sieben bewohnten Hawaii-Inseln ist Kauai weit von dem erwähnten Hotspot entfernt, der Schildvulkan ist seit Tausenden und Abertausenden von Jahren erloschen, die Insel „wächst“ nicht mehr, nein, im Gegenteil, sie wird stetig kleiner. Das unerbittliche Wetter hat seinen Beitrag dazu geleistet und eine von tiefen Tälern durchzogene, von rauen, zersägten Küsten ebenso wie mit kilometerlangen Sandstränden gesäumte und teils unwegsame Insel geschaffen.

Das Klima ist auf allen Hawaii-Inseln ähnlich; schön warm, sommers wie winters, eine gewisse (im Winter, zur Regenzeit, höhere) Luftfeuchtigkeit und die Garantie, nie wirklich frieren zu müssen. Herrlich! Nur hinsichtlich der Niederschläge tun sich gewaltige Differenzen auf. In der Gipfelregion des Mount Waialeale auf Kauai fallen sagenhafte 12.000 mm (12 Meter!) Regen im Jahr, womit es der feuchteste Punkt der Erde ist. Warum? Kauai ist als nordwestlichster „Regenfänger“ am stärksten den feuchtigkeitsbringenden Passatwinden ausgeliefert. Somit regnen sich die Wolken an den Bergen auf Kauais Nordostseite ab, und an der gegenüberliegenden Südwestküste herrscht dagegen ein fast wüstenartiges Klima. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass Kauai die wohl grünste, mit teils undurchdringlichem Regenwald bewachsene Insel des Archipels ist.

Auf Kauai wächst all jenes, was in Deutschland des Hobbygärtners Herz höher schlagen lässt: Weißer und roter Ingwer, Hibiskus, Arthurium (besser bekannt als große Flamingoblume; riesiges rotes, herzförmiges Blütenblatt, aus dessen Mitte eine Art weißer „Bürzel“ hängt), Helikonien, Heliconia Rostrata (schaut aus wie viele rote Hummerscheren an einer grünen Kette), Plumeria, Bird of Paradise, Engelstrompeten und wild wachsende Orchideen.

Bei all den hier wild wachsenden Früchten kommt man sich fast wie im Schlaraffenland vor: links und rechts der Straßen wachsen Bananen, Avocados, Ananas, Lychees, Kokusnüsse, Papayas, Rambutans, Sternfrüchte und Guaven. Guaven bis zum Horizont und zurück. Es ist wie ein Panoptikum der exotischen Früchte. Herrlich! Und wunderbar lecker!

Josef, Maria und Jesus in Koloa, Menschenopfer und Spaß in der Kirche

Gegenüber dem kleinen Supermarkt, direkt an der Kreuzung Maluhia und Poipu Road in Koloa, steht unsere erste Begegnung mit Weihnachten in den Tropen. Unter riesigen Banyan- und Monkeypod-Bäumen zur einen und Palmen zur anderen Seite steht eine Weihnachtskrippe. In Lebensgröße. Fast – beim Esel, der Kuh und einem Schaf haben die Erbauer ein wenig Material gespart, um damit zwei kleine Katzen zu erschaffen, von denen eine prominent, ganz Hauskatze, zu Josefs Füßen liegt. Nur schnurren tut sie nicht. Es ist ein komisches Bild, kennen wir doch Krippen eher mit Schnee und Kälte. Aber irgendwie ist es ja auch logisch. Bei 1,13 Milliarden Christen weltweit.

Vor Ankunft der ersten Missionare waren die Inseln fest in den Händen unendlichvieler polynesischer Gottheiten. Die drei Hauptgötter waren Kane (Erde), Ku (Meer) und Lono (Gestirne). Dann, nach Ankunft Captain James Cooks 1778, der die Hawaii-Inseln für die westliche Welt entdeckte, folgten bald, 1820, die ersten protestantischen Missionare. Aus war es mit den zahlreichen „Götzenbildern“ der Hawaiier – ein Gott, Monotheismus musste her! Auch durften von nun an keine Menschenopfer mehr dargebracht werden, oder wie heißt es im Reiseführer so schön: „Mit Fleiß, Überzeugungskraft und Askese bekehrten die Missionare erst die Könige, diese wiederum ihre Untertanen und das, obwohl dies nicht zu der lebensbejahenden Gesellschaft der Polynesier passen wollte“. Menschenopfer – lebensbejahend? Alles eine Frage des Blickwinkels. Wahrscheinlich.

Ab 1827 missionierten schließlich die Katholiken flächendeckend. Sehr zur Freude der Einheimischen zeigten sich diese toleranter gegenüber den Sitten und Gebräuchen der Ureinwohner. Zusammen schufen sie ein lebensfrohes und „lustiges“ Christentum. Dies war der Königin Kaahumanu dann aber doch zu unbeschwert und locker, den katholischen Padres wurde 1830 die Missionstätigkeit verboten und der Protestantismus zur Staatsreligion erklärt. Zack! Aus mit Lustig! Nachdem die Einheimischen nun aber auf den Geschmack gekommen waren, breitete sich, dem Verbot zum Trotz, das lebensfrohe Christentum weiter ungehindert aus und ist inzwischen die wichtigste Glaubenrichtung der Inseln.

Hanapepe, sein Canyon und ein Zeh im Wasser

Hanapepe. „Welcome to Kauais biggest little town!“ heißt es am Ortseingang auf einem strahlend weißen Schild. Es ist nicht viel, was es in dieser big little Town gibt, ein paar Läden, hauptsächlich Galerien mit so exquisiten Stücken wie gläserne, aus dem Wasser springende Delphine, farblich wohl und bedacht komponiert (rosa!). Oder die Vulkangöttin Pele, ganz in Schwarz, auf einem Vulkan stehend, effektvoll von innen beleuchtet, um den Lavafluß auch im grellsten Sonnenlicht zu simulieren. Schaurig! „We ship everywhere!“ steht da in grellen Neonbuchstaben. Es ist schwer, dieser Versuchung zu widerstehen, aber unter Aufbietung aller Willensstärke schaffen wir es.

Lässt man diese Galerien mal beiseite, ist Hanapepe ein wirklich nettes kleines Städtchen. Eine Main Road, 2.000 Einwohner und die Gebäude strahlen einen gewissen Charme im Wildweststil aus. Das Ganze gepaart mit Palmen und exotischen, das gesamte Farbspektrum repräsentierenden Blumen. Neben den vielen sterilen Hotelburgen und Golfplätzen ist Hanapepe ein fröhlicher, bunter und herrlicher Kontrast.

Die meisten Besucher, einschließlich uns, kommen aber nicht wegen der Galerien, sondern wegen der sieumgebenden Natur. Hier kommen wir dann das erste Mal an einen der berühmten Canyons von Kauai, dem Hanapepe-Canyon. Dieser ist, nach dem weltberühmten Waimea Canyon auf Kauai, der wohl größte und spektakulärste. Von einigen Aussichtspunkten haben wir einen unglaublichen Blick in diese Wunderwelt. Dunkelrote, steile und hohe Klippen säumen ein Tal, das vor Grün nur so strotzt. Die Kante des Canyons wirkt aller Erosion zum Trotz wie mit dem Messer geschnitten scharf. Umgeben ist der Canyon mit sanften Hügeln in sattem Grün auf einem rostroten Boden. Ein bisschen wirkt es wie ein bewaldeter roter Planet. Es ist nicht einfach Grün, nein, es sind unzählige Varianten von Grün. Hier in diesem Canyon, durch den der viele Regen aus den Bergen Kawaikini und Kalaluanahelehele in Richtung Meer abfließt, finden wir ein Dorado von Fauna. Es ist unglaublich, dieser Überfluss, dieses Farbspektrum, diese wilde Schönheit.

Unweit des Canyons stecken wir das erste Mal unsere Zehen in die Fluten des Pazifiks. Am Salt-Pond-Beach. Geprägt von schwarzer Lava, goldenem Sand, der einem Farbklecks gleich das Schwarz durchbricht und dazwischen unzählige Korallenbruchstücke. Diese Korallenbrocken sind mit ihrem strahlenden Weiß so blendend hell zwischen all dem Schwarz, dass es wie ein Schneefeld im Nichts der Nacht wirkt. Das kristallklare Wasser mit angenehmen (geschätzten) 26°C tut ein Übriges, um uns vollkommen in den Bann zu ziehen. Wir lassen unsere Blicke über die unendlich wirkenden Weiten des Pazifiks schweifen, die Füße zwischen pechschwarzem Lavagestein vom Wasser umspülen und sind einfach nur glücklich und froh, eine solche Schönheit und Einzigartigkeit erleben zu dürfen.

Wir dringen weiter nach Nordosten vor. Die Landschaft wechselt rasend schnell ihr Aussehen. Mal in sattem Grün, dann eher steppenhaft, hinter der nächsten Kurve bergig und feucht. Das geht immer so weiter. Mal findet sich neben der Straße undurchdringlich wirkender Regenwald, dann wieder eher Gestrüpp – das Ganze immer wieder durchbrochen von endlosen Zuckerrohrfeldern. An einer Stelle auch von Kaffeebäumen. Wie oft haben wir von hawaiischen Kaffee gehört oder gelesen. Dann aber davor zu stehen, vor den roten Kaffeebohnen an mannshohen Büschen und zu wissen, dass hier einer der wohlschmeckendsten Kaffees der Welt wächst, ist noch einmal etwas anderes.

Am Ende des Highway 50, der hier einer normalen Bundesstraße gleicht, und nicht, wie man fürchten mag, eine dieser straßenbaulichen Ungetüme zum maximalen Transport von Mensch und Waren ist, biegen wir ab. Die Mietwagenfirma wies uns mehrmals auf die Tatsache hin, dass wir mit einem geländegängigen Allrad-Jeep unter keinen Umständen die geteerten Straßen verlassen dürften. Sonst sei es aus mit Versicherung und der im Mietpreis enthaltenen Pannenhilfe. An dieser wie noch an zahlreichen anderen Stellen der Insel stellt sich heraus, dass, würde man diesem Ratschlag folgen, man nur einen Bruchteil der Insel entdecken könnte. Und überhaupt, wofür haben wir denn einen Jeep Wrangler, das Urgestein von Offroad überhaupt? Um nicht über einen Feldweg zu fahren? Obelix würde sagen: die spinnen, die Mietwagenverleiher, und Recht hätte er!

Der Warnung zum Trotz biegen wir also ab. Auf den Feldweg zum Polihale-Beach. Dem mit 24 km längsten Strand aller Hawaii-Inseln. Über eine holprige, aber nicht im geringsten gefährliche Straße geht es durch Tarofelder (Taro ist die polynesische Variante von Kartoffel, im Geschmack ein bisschen süßlich, vom Aussehen lila-bläulich) und Wäldern aus Banyan-Bäumen und Palmen.

Strand bis zum Horizont oder das Ende und der Anfang

Nach ca. 20 km Geholper und der „Angst“, Verbotenes getan zu haben, kommen wir an. Vor uns liegt der Polihale-Beach. Dies ist kein normaler, typischer Strand: enorm breit, geschätzte 800 Meter, 24 km lang und fast menschenleer! Dass man nicht ganz allein ist, beweist der fast ständig in der Luft liegende, süßliche Geruch von frisch gerauchtem Gras. An den Palmen lehnen Surfboards, im Schatten sitzt ein erschöpfter Surfer mit einer Flasche Longboard-Lager, dem lokalen Bier, und erholt sich von den Strapazen des Wellenreitens. Mein Gott, ein hartes Sportlerleben. Ob wir auch zum Surfen kämen, werden wir gefragt. Mit dem Blick auf die Wellen mit ihren gut 5-6 Metern Höhe verneinen wir dies, würden wir ja nicht einmal ins offene Wasser kommen, ohne von diesen Brechern einfach wie eine leere Muschel am Boden pulverisiert zu werden. Nein, wir schauen nur, und in den Alpen gebe es keine Wellen, wir seien eher Skifahrer, erwidern wir.

Dieser Strand ist unglaublich. Da kommt Bacardi-Feeling auf. Natürlich haben wir weder Bacardi noch Cola dabei und somit schlürfen wir eine Dose Hawaiian-Sun-Guaven-Nektar. Schon die Dose strahlt ein gewisses Flair von Paradies aus, und oben steht fett „Made in Hawaii“.

Dieser paradiesische Strand ist Anfang und Ende zugleich. Er ist das Ende der mit dem Auto (oder auch Jeep) zu erreichenden Gebiete an der Westküste der Insel. Hier endet die Straße. Ein Weiterkommen wäre nur mit dem Boot oder fliegend möglich. Anfang ist er, da hier die sagenhafte Na Pali-Küste beginnt.

Um die Besonderheit der Na Pali-Küste zu verstehen, muss man versuchen, sich die Insel vorzustellen. Die Insel hat in etwa die Form eines Spiegeleis mit einem riesigen, breiten Dotter in der Mitte und einem dünnen, flachen Streifen Eiweiß drum herum. Der Dotter sind die Berge und Täler vulkanischen Ursprungs; steil, zerklüftet, unwegsam und nur per pedes oder per Helikopter erreichbar. Das Eiweiß wiederum ist der von der Erosion flach geschliffene Rand. Hier ist jegliche Infrastruktur zu finden, die Böden sind fruchtbar, und die Landwirtschaft floriert. Nur an einer Stelle ist, ähnlich einem verschobenen Spiegelei, der Dotter an den Rand gerutscht. Diese Stelle, an dem der Dotter in die Pfanne, sprich den Pazifik rutscht, ist die sagenhafte und absolut unzugängliche Na Pali-Küste. Mit absolut unzugänglich ist der Weg per Auto gemeint. Per pedes ist die Na Pali-Küste über einen einzigen steilen, vom steten Regen aufgeweichten, schwierigen und insgesamt 36 km langen Wanderweg zu erkunden.

Die Klippen der Na Pali-Küste sind absolut spektakulär. Bis zu 1.200 Meter fallen sie senkrecht in den Pazifik ab. Das Wasser peitscht mit aller auf der Tausende von Kilometern langen Reise über den Pazifik gesammelten Energie an die Küste. Unbarmherzig schlagen die Wellen auch in die letzte und kleinste Bucht. Es gibt einige wenige, nur per Boot zu erreichende Sandstrände, an denen das Baden wegen des enormen Wellengangs eher an Selbstmord denn Badevergnügen grenzt. Die Küste wird immer wieder von tiefen, engen, dunklen und dicht bewachsenen Canyons durchzogen. Diese Canyons wirken wie tiefe Schnitte oder Axthiebe in eine so unwirkliche Landschaft, dass es einen nicht wundern würde, wenn in diesen abgelegen Tälern die Dinosaurier unbemerkt und mutterseelenallein überlebt haben könnten.

Die die Na Pali durchschneidenden Täler haben Namen, die einem, hat man die Aussprache mal hinbekommen, auf der Zunge zergehen: Hoolulu, Waiahuakua, Awaawapuhi oder Milolii. Würde man eines dieser Täler betreten, man begäbe sich auf eine Zeitreise in ein Land, in dem es noch keine Menschen gab. Wasserfälle stürzen sich Hunderte von Metern in die Tiefe, die steilen Talwände sind mit üppigem Grün bewachsen, und der Zahn der Zeit hat unzählige Höhlen, uneinsehbare Buchten oder in das Wasser ragende Steinbögen geformt. In Mythen und Sagen der Ureinwohner spielte die Küste mit ihrer Abgeschiedenheit und Majestät eine wichtige Rolle. Götter haben hier gewohnt, Geister fanden ihre letzte Zuflucht hier und allen voran die zwergenhaften Wunderbringer und Alleskönner, die Menehune, wohnten hier.

Aber auch Mythen und Legenden neuern Datums halten sich: So fand in den frühen 1920er Jahren ein Archäologe menschliche Schädel in einem der Canyons. Seine langjährige Erfahrung ließ ihn sogleich feststellen, dass diese Schädel nicht hawaiischen Ursprungs seien. Schwups, war dieses Tal, das Honopu-Valley, das „Tal des verlorenen Stammes.“ Auch wenn sich die Schädel später als hawaiisch herausstellten, die Legende lebt.

In zahlreichen Reiseführern und Reiseberichten heißt es, dassman, wenn man die Na Pali-Küste nicht gesehen, Kauai nicht gesehen hat. Dies mag ob der Tatsache, dass es sich ja lediglich um eine besonders hohe und zerklüftete Steilküste handelt, abwegig klingen. Ist es aber nicht. Na Pali ist atemberaubend schön und erhaben. Nirgendwo sonst auf dieser und auch nicht den weiteren besuchbaren Inseln des Archipels lässt sich die Dramatik, mit der diese Inseln einst aus dem Pazifik erwachsen sind und dem sie seit 5 Millionen Jahren die Stirn, sprich Küste, bieten besser bestaunen als an Na Pali!

Der Grand Canyon des Pazifiks

Der Waimea Canyon ist eines der größten Naturwunder der hawaiischen Inseln. Kaum vorzustellen, dass es auf dieser kleinen Insel neben der Na Pali-Küste ein weiteres derartiges Naturspektakel geben kann. Aber dem ist so. Und wie! 19 Kilometer lang und bis zu 900 Meter tief ist der Waimea-Canyon. Die Wände senkrecht, der Fluss nach Regenschauern reißend und, im Gegensatz zum Grand Canyon, grün! In diesem Tal herrscht ein Überfluss an Grün. An den steilen Canyon-Wänden haben sich Bäume, Büsche und teils ganze Wiesen festgesetzt. Nur an den wirklich 90 Grad steilen Wänden ist es der nackte Fels. Rotes, rostrotes Vulkangestein. Lange vor der Zeit der Menehune und der ersten Bewohner dieser Inseln muss ein Erdbeben von unermesslicher Stärke die Insel Kauai fast in zwei Hälften zerrissen haben. Der Waimea-Canyon ist der heute noch sichtbare Riss. Alle bis dahin gemütlich durch sanfte Landschaften fließende Flüsse haben sich in einer Art Superstrom, dem Waimea-River, vereint, der im Lauf der Jahrtausende dann diesen Canyon geschaffen hat.

Von der Westküste aus bringt uns eine 32 km lange Stichstraße immer entlang des Canyon-Randes bis tief ins Landesinnere. Von unzähligen Lookouts öffnen sich dramatische Blicke in diese einzigartige Landschaft. Auch wenn dieser Canyon „nur“ 19 km lang ist, bieten sich, da er nicht gerade ist, aus jeder Perspektive und von jedem Aussichtspunkt neue atemberaubende Blicke in eine Landschaft, wie sie bizarrer kaum sein könnte. Bizarr deswegen, weil man bei den ersten Gedanken an Hawaii an Strand, Wellenreiten, Hula und Sonne denkt. Nicht aber an Naturschauspiele, bei deren Anblick man versucht ist zu glauben, man sei auf einen anderen Planeten gereist, nicht aber in den lang ersehnten Badeurlaub auf Hawaii.

Der wohl schönste Punkt, um den Waimea-Canyon am einen und die Na Pali-Küste am anderen Ende zu sehen, liegt hoch in den Bergen, am Ende der Stichstraße. Puu Kila heißt das Ziel des Weges. Über diesen Aussichtspunkt heißt es in unserem Reiseführer: „Alleine wegen dieses Ausblicks hat sich die Reise (Anmerkung unsererseits: Nettoflugzeit über L.A. von München 19 Stunden) nach Kauai gelohnt.“ Heißt es. Fotos suggerieren dies. Was haben wir gesehen? Ein verrostetes Geländer und ein paar Büsche. Dieser sagenhaft Ausblick war gepaart mit Nieselregen, schlimmer als man ihn aus London kennt, und Nebel, so dicht, als läge ein Leichentuch über der Landschaft. Nun stehen wir da im Nebel, frieren und sind froh, nicht einzig dieser Aussicht wegen hierher geflogen zu sein. Was hätten wir uns geärgert bzw. was haben wir uns doch geärgert! Zurück im Auto machen wir die Heizung an und eine Dose Hawaiian Sun Guaven Nektar auf. Sonne aus der Dose!

Von Zwergen mit Wunderkräften – die Menehune

Besonders auf der Insel Kauai lebt auch heute noch der Glaube an die Menehune. Die Menehune waren kleine, koboldartige Wesen, Zwergen ähnlich, aber mit übermenschlichen Kräften ausgestattet. Unzählige Pumuckls auf Hawaii! An zahlreichen Orten auf der Insel finden sich heute noch Relikte der angeblichen Baukunst der Menehune. Selbstverständlich, ganz legendenbildend, lebten die Menehune hier lange vor der Zeit der ersten Siedler und Entdecker.

Um das Jahr 800 n. Chr. sind auf den Hawaii-Inseln die (ersten oder eben zweiten) Siedler aus Polynesien angekommen. Wahrscheinlich aus Tahiti. Als James Cook 1778 die Inseln entdeckte, nachdem er selbst bereits Monate und Tage auf offener See war, ohne Land gesichtet zu haben, war er so erstaunt, an diesem abgelegenen Ort Menschen vorzufinden, dass er fast an ein Wunder glaubte. Inzwischen gilt es als erwiesen, dass die ersten Siedler knapp 1.000 Jahre vor James Cook hier ankamen; in kleinen, wendigen Kanus auf einem doppelten Rumpf und einem kleinen Segel zur Erleichterung der Rudercrew. Erstaunlich, dass es zu einer Zeit, als die Erde noch eine Scheibe war, den Polynesiern gelungen war, mit derart primitiven Booten und ohne Navigationshilfen eine fast 4.000 km lange Distanz über das offene Meer zurückzulegen. Aber irgendwie müssen sie ja hierher gekommen sein.

Lange haben Forscher gerätselt, woher die Menehune oder der Glaube an diese zwergenhaften Zauberwesen gekommen sein mag. Fakt ist, dass es einige Relikte auf der Insel gibt, die (angeblich) älter sind als auch nur die erste mögliche Ankunft der Polynesier zurück liegen mag. Diese Strukturen, allen voran der Menehune Fishpond, machen den Anschein, definitiv von Menschenhand geschaffen worden zu sein. Die Natur stapelt keine Felsquadern übereinander, um an einem Fluss einen Art Fischteich zu erschaffen. Warum sollte sie auch!

Die Theorie, dass die Menehune nicht einfach ein Hirngespinst sind oder der Fantasie entsprungen, findet sich immer wieder. Tatsächlich soll, wie fast jede Legende, auch die Legende um die Menehune einen wahren Kern und historischen Hintergrund haben. In den Jahren zwischen Christi Geburt und 350 n. Chr. sollen es Seeleute der Marquesas Islands von dieser, nördlich von Tahiti gelegen Inselgruppe bis nach Hawaii geschafft haben. Als nun um 800 n. Chr. Hawaii von den Seefahrern aus Tahiti eingenommen wurde, wurden die Menehune durch die körperlich überlegenen Eindringlinge unterdrückt und vertrieben. Aus Angst vor den neuen Herrschern flüchteten die Menehune in die undurchdringlichen Wälder, in die tiefen und dunklen Täler oder hoch in die Berge. Heute vermuten Historiker einen Zusammenhang zwischen den Menehune und dem tahitianischen Wort „manahune“, das ein Volk mit geringen sozialem Rang bedeutet.

Kauai – ein Traum von Insel und im Interesse unserer Leser

Bis zur obigen Überschrift waren es 9 Seiten, 3.873 Wörter, 25.482 Zeichen (inkl. Leerzeichen), 52 Absätze und 445 Zeilen über eine Insel mit einer Länge von 34 km, einer Breite von 40 km, 145 km Küstenlänge, 60.000 Einwohnern und einem Berg mit immerhin 1.598 m Höhe.

Wir könnten noch einmal knapp 4.000 Worte über diese Insel schreiben, und es gäbe noch sehr, sehr viel zu berichten. Über Elvis Presley und die Coconut Coast, Menstruationshütten, altkönigliche Nabelschnurentsorgung in der göttlichen Felsspalte, den Kee Beach, den Hula Tanz, Ukuleles oder einen Hubschrauberflug in 1.000 Meter Höhe OHNE Türen, aber mit Schwimmweste.

Die Anfangszeile der Kauai-Hymne lautet: „Maikai Kauai hemolele i ka malie.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Außer vielleicht der Übersetzung: „Schön ist Kauai, über jeden Vergleich erhaben“.Uund dass es eines der schönsten Flecken Erde ist, die wir je gesehen haben.

Aloha Kauai!

 

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