Ab auf die Insel!
08.03.2011
TASMANIEN – UNDER DOWN UNDER
Vor uns liegen 240 km offene See, einmal mitten durch, durch die sogenannten „Roaring Forties“ – und das auch noch nachts. Unzählige Schiffe sollen hier spurlos verschwunden sein. Den ganzen Vorrat von „Superpep“, dem renommierten Reisekaugummi, wollten wir schon bunkern, haben es dann aber doch nicht gemacht und letztendlich war die Überfahrt so ruhig und beschaulich wie eine lustige Dampferfahrt auf dem Chiemsee. Und verschwunden sind wir auch nicht.
Bei strahlendem Sonnenschein stehen wir am nächsten Morgen an der Reling und blicken von dem großen roten Schiff auf ein noch recht verschlafenes Tasmanien. So schaut es also aus am Ende der Welt. Nun muss nur noch die Quarantäne überwunden werden, dann kann es losgehen. Kein frisches Obst oder Gemüse darf aus Angst, die wahrhaftig Unheil bringende Fruchtfliege könne hier heimisch werden, auf die Insel. Vor uns stauen sich die Fahrzeuge, werden akribisch untersucht und zu unserem Erstaunen haben die lokalen Autoritäten hier auf Obst und Gemüse abgerichtete Spürhunde. Vielleicht hätten wir doch alles Entsprechende entsorgen sollen, denken wir uns. Wir sind an der Reihe und bekommen sofort den gesamten Charme der netten Dame zu spüren, sofort fühlen wir uns hier willkommen: „get off the car“ – machen wir – „open the door of the back“ – ok, ähh „the door is on the other side of the car“. Dieser Umweg macht uns nicht beliebter, wir öffnen die Tür – „you could not build the door closer to the ground?“ „Nö!“ „And how can we get the dog in“? Ja, ist das jetzt unser Problem? „Let him jump or just lift him up“ – „the dog is to heavy“. Hääh? Auf das wiederholte, inbrünstige Verneinen, dass wir weder frisches Obst noch Gemüse hätten, wird uns geglaubt, der Hund geschont und über ein keines Trittleiterchen in den nächsten bodennahen Wohnwagen gescheucht. So haben wir erfolgreich sage und schreibe eine Zwiebel an den lustlosen und strengen Kontrolleuren vorbei geschmuggelt.
Reisen bildet, heißt es. Stimmt. Und da uns das intellektuelle Wohlergehen unserer treuen Leser am Herzen liegt, hier ein paar Fakten über Tasmanien: Tasmanien liegt ganz, ganz weit im Süden (als nächste Landmasse kommt nur die Antarktis), Tasmanien ist kleiner als Bayern, insgesamt 37% der Gesamtfläche sind als Park geschützt, der tasmanische Tiger ist ausgestorben und der tasmanische Teufel bald, der knallgrüne, beliebte Granny Smith Apfel wurde erstmals in Tasmanien angebaut. Das Klima ist mediterran mit durchschnittlich 12°C im Winter und unglaublichen 26°C im Sommer. Wir haben Sommer, keine 26°C – aber dazu später. Und Tasmanien ist reich an Kuriositäten. Die Bandbreite ist hier enorm.
So überrascht und beeindruckt uns dieses kleine Eiland im tiefen Süden mit seinen unerwarteten Angebot an lokalen Leckereien: sagenhafter Käse, die besten, frischesten Austern von Welt, Rind-und Lammfleisch von einer Qualität, die unbeschreiblich ist, interessante Weine und selten, wirklich selten gutes Brot.
Des Weiteren hat sich in Hobart, der Hauptstadt Tasmaniens, der mit Casinos reich gewordene Exzentriker David Walsh ein Museum, das MONA – Museum of old and new art – in den Berg sprengen lassen. Besonders kurios sind hier zwei Exponate: „Cloaca“ von Wim Delvoye. Diese Installation besteht aus mehreren, mit Wasser gefüllten Glaszylindern, die über Schläuche miteinander verbunden sind. Das Wasser scheint von Zylinder zu Zylinder zu gelangen und wird dabei immer bräunlicher. Am Ende kommt aus einem Schlauch Kot und fällt auf einen Teller hinab. Über versteckte Duftspender wird das Resultat geruchlich verstärkt. Ekel erregend! Konzeptkunst? Überhaupt Kunst? Spätestens seit Beuys wird die Definition, was Kunst ist, stets ausgedehnt, aber muss es gleich so „beschissen schwer zu verstehen sein?“ Wenigstens ist der Raum belüftet. Im nächsten Raum warten dann sagenhafte 150 in Porzellan gegossene Vaginas auf uns. Aha! Es wirkt wie die Trophäensammlung eines ständig geilen Töpfermeisters. Aber vielleicht ist das Greg Taylor, der Künstler, ja.
Aber es gibt auch angenehmere Kuriositäten: so gibt es auf Bruny Island, einer kleinen, wunderbaren, Tasmanien vorgelagerten Insel weiße Kängurus. Albinos. Auch Pinguine soll es hier geben. An wahrscheinlich 364 Abenden im Jahr kommen die Frackträger der Eismeere aus dem Wasser an Land, um ihre Jungen zu füttern. Einen Abend im Jahr scheinen die (angeblich) putzigen Tierchen „Vollversammlung“ zu haben und dem Lande fern zu bleiben. Dass wir genau an diesem einen Abend bei ca. 3°C, strömenden Regen und orkanartigen Winden fast zwei Stunden am Strand stehen, um einmal im Leben Pinguine nicht in Gefangenschaft zu erleben – wen wundert’s! Uns nicht!
Tasmanien begeistert uns jedoch auch mit seiner stets abwechslungsreichen Landschaft: aus sanften Hügellandschaften geht es in dichte, undurchdringliche Regenwälder, einsamen, weißen Sandstränden folgen schroffe, abweisende Steilküsten. Mythische Sumpflandschaften, unberührte und wilde Wälder, zerklüftete, hohe Berge, kristallklare Seen, unzählige Flüsse und Bäche prägen das Landschaftbild. Der South-West-Nationalpark ist eine der wenigen absolut unberührten, urtümlichen und größtenteils noch nicht erforschten Gebiete dieser Erde. Immer wieder werden hier neue Tier- und Pflanzenarten entdeckt. Auf einer langen Wanderung durch einen winzigen Teil des Nationalparks können wir einen flüchtigen, dennoch beeindruckenden und intensiven Eindruck dieser archaischen Landschaft gewinnen. Das lohnende Ende dieser herrlichen, beeindruckenden Wanderung ist der südlichste Punkt Gesamtaustraliens, die South Cape Bay, die übrigens und zum Glück nur per pedes zu erreichen ist.
Ebenso abwechslungsreich zeigt sich das Wetter. Hier ist es möglich, an einem einzigen Tag so ziemlich alles zu erleben, was das Wetter zu bieten hat; nur mit sommerlichen Temperaturen geizt der tasmanische Wettergott in diesem Sommer. Wir lassen uns nicht unterkriegen, decken uns während einer sogenannten Flash Flood in St. Helens in einem Baumarkt mit übergroßen Gummistiefeln ein und trotzen Wind und Wetter.
Wir erfahren das Tamar Valley mit seinen unzähligen Weingütern, stoßen auf eine Ortschaft Namens Grindelwald, finden in dem ansonsten wenig aufregenden Städtchen Launceston ein Restaurant, das seinesgleichen sucht, entdecken zu Jakobs großer Freude im Tasmanian Auto Museum einen alten Alfa Romeo Bertone (und später, zur noch größeren Freude einen durch die kurvenreichen Straßen flitzenden Alfa Spider Fastback), sammeln Muscheln von der Größe einer familientauglichen Suppenschüssel, spazieren im strömenden Regen an menschenleeren Stränden entlang, beobachten Kängurus beim Hüpfen, Wombats beim Fressen, ein Echidna (optisch eine Kreuzung zwischen einem Minibären und einem Riesenigel) beim der zeitlupengleichen Flucht in ein noch zu grabendes Erdloch, rümpfen die Nase in einer riesigen Seebärenkolonie (die stinken, die Viecher, das ist unglaublich!), bestaunen riesige Albatrosse bei ihrer Jagd nach Fischen, überfahren einen Hasen, lassen uns von frechen, flink hüpfenden Superb Fairywren-Vögeln erheitern, bekommen einen unheimlichen Schrecken vom bis dahin unbekannten Lärm und sagenhaften Getöse, als Possums mitten in der Nacht auf dem Autodach „eine Party feiern“, steigen auf einer schier endlosen Treppe auf die Spitze einer Düne der Sonne entgegen, erkunden Baumkronen 40 Meter hoch über dem Boden auf einem Walkway, naschen frische Schokolade in der größten Schokoladenfabrik der Welt und erleben mit Queenstown (welch irreführender Name) die wohl trostloseste Stadt der Welt.
Tasmanien muss man „erfahren“. Die Straßen sind schlecht, auch (oder gerade) wenn sie geteerte sind, wir kommen langsam voran. Jede Bodenwelle überträgt sich (wenigstens) luftgefedert in unsere Rücken, in unsere gesamten Körper. Die Plomben wackeln. Noch abends spüren wir ein vermeintliches Gerüttel in unserem Körper. Für 100 km auf einem Highway, geteert, Hauptverbindungsweg, Schlagader der Infrastruktur, benötigen wir bei Zeiten und ohne Pausen gute zwei bis drei Stunden.
Und jedes Mal hat es sich gelohnt. Die Fahrt in den Ben Lomonds Nationalpark zum Beispiel geht durch Natur belassenes Weideland, welches von rauschenden Bächen durchkreuzt wird, gesäumt von urzeitlich wirkenden Eukalypten und „bewohnt“ von unzähligen Kühen und Schafen. Das letzte Stück der Strasse durch den Nationalpark trägt den Namen „Jacobs Ladder“ und hat es in sich: über eine Schotterpiste erklimmt man über Angst einflößende Serpentinen eine fast senkrechte Felskante. Die Kurven sind so eng, dass wir (fast) jedes Mal mit Knut zurücksetzen müssen, Richtung Abgrund, um die Kurve nehmen zu können. Je höher wir kommen, desto tiefer stürzt jede die Felswand im Rückspiegel ab. Und einspurig ist die Straße auch noch. Selbst für uns Alpenbewohner ist diese Straße ein wirkliches Erlebnis und eine gewisse Herausforderung.
Ebenso beeindruckend war die „Erfahrung“ der Western Explorer Road. Auf einer sandigen Piste geht es durch teils dichten Eukalyptuswald, über von Sedimenten und Mineralien dunkelrot gefärbte Flüsse, über Fallgruben gleiche Schlaglöcher. Immer wieder öffnet sich der Wald hin zu einer scheinbar endlosen, baumlosen, leicht hügeligen Landschaft, durch die sich das weiße Band der Piste wie eine sagenhafte Schlange windet. Auch in dieser Idylle ist Australien immer wieder für eine Überraschung gut. Ja, wir wussten, dass wir einen Fluss auf einer Fähre überqueren müssten, aber was dann wirklich kam, war nicht ganz das, was wir erwartet hatten. Nach einer Kurve und dem Hinweis auf die Fähre stehen wir an einem dieser wunderbar dunkelrot gefärbten Flüsse. Aber es findet sich keine Anlegesteg, nichts. Die Strasse endet, unten fließt das Wasser und zwei alte Holzstumpfen deuten drauf hin, dass dazwischen die „Fähre“ anlegen könnte. In der Mitte des Flusses schwimmt auf zwei verbeulten Pontons ein Stahlbrett mit orangefarbener Hütte darauf, gezogen von einem Drähtchen, Drahtseilchen. Wir staunen. Ganz besonders, als wir neben der „Anlegestelle“ ein Schild mit der Information entdecken, dass dieses schwimmende Etwas nur maximal 6,5 Tonnen aushält. Wir wiegen mindesten 8, eher 8,5 Tonnen! Nach einigen Diskussionen und der Notlüge, dass wir höchstens, also allerhöchstens 7 Tonnen wiegen, dürfen wir drauf.
Bei der Auffahrt auf den Ponton sinkt dieser unter der Last Knuts tief ins Wasser, pendelt sich aber nach einem beherzten Tritt aufs Gas und der gleichmäßigen Gewichtsverteilung Knuts auf dem Ponton einer Schiffschaukel gleich aus, gluckst ein paar Mal und geht nicht unter.
Wir zahlen die Fährgebühr und legen ein bisschen was als Trinkgeld für den „Kapitän“ drauf, schließlich hat uns sein Glaube in unsere magische Gewichtsreduzierung mindestens 6 Stunden Umweg erspart. Am anderen Ufer sind wir ehrlich gesagt nicht ganz unfroh und erleichtert, trocknen Fußes dort angekommen zu sein.
Eine Sache gibt es zu guter Letzt noch zu erwähnen, und die scheint auch in dem sonst so an Unglaublichkeiten reichen Australien und Tasmanien besonders zu sein: es hat geschneit! Im Sommer. Es soll sich ja im Sommer das Thermometer auf Tasmanien durchschnittlich bei 26°C einpendeln. Dass wir nicht lachen. Eine solche Hitze hat es höchstens unterm Heizstrahler am Lobster-Pie-Stand am Straßenrand. Aber, wie wir erfahren haben, soll es sich auch um den schlechtesten Sommer seit Ewigkeiten handeln. Soviel Schnee, wie wir an jenem Tag gesehen haben, soll es das letzte Jahr den gesamten Winter durch nicht gehabt haben.
Nach vier Wochen „am Ende der Welt“ geht es nun wieder auf die Fähre, abermals über die Bass Strait mitten durch die „Roaring Forties“, zurück aufs Festland. Mit gemischten Gefühlen treten wir die Überfahrt an; hatten wir doch manchmal ein bisschen den Inselkoller, so war es doch etwas Besonderes, hier am Ende der Welt, der letzten Bastion vor dem ewigen Eis der Antarktis, in herrlicher Landschaft, mit sagenhaft frischer Luft – der UN-Weltstandard für die sauberste Luft wird auf Tasmanien gemessen – bei bruddeligen, aber umso herzlicheren Menschen.
Goodby Tassie….