Pure South Australia

Leere Einsamkeit!

23.04.2011

SOUTH AUSTRALIA – SÜDLICHES WESTERN AUSTRALIA

Adelaide ist eine Stadt, ein Städtchen, zwischen den Welten, am Wegesrand, ein Etappenziel. Die Nähe zu Sydney (1.400 km) und Melbourne (730 km) – auf jeden Fall für australische Verhältnisse -hat bis heute eine eigenständige, individuelle Entwicklung der Stadt verhindert. Ja, es ist nett hier, doch irgendwie recht unaufgeregt. Alle Sehenswürdigkeiten, immerhin sieben (!!), befinden sich Dominosteinen gleich schön aufgereiht auf einem gerade mal 150 m langen Abschnitt der North Terrace. Da laufen wir uns sicher keine Blasen…. Einmal wagen wir uns dann noch in einen Vorort, in das R.W. Williams Museum. Ein Museum über australische Cowboystiefel, Karohemden und Herrenschuhe mit Absätzen. Nach dem Besuch warten wir fast 30 Minuten auf ein Taxi. Ansonsten kann man im so genannten CBD (Central Business District) bummeln; wir haben die Wahl zwischen Bürobedarf, Alkohol, Sonnenhüten und Angelbedarf. Wir gehen joggen, essen zu viel, schlafen schlecht und packen zusammen.

Was nach Adelaide vor uns liegt, lässt sich einfach beschreiben: der Straße folgen, nach 310 km links abbiegen, wiederum der Straße folgen und nach 1.668 km erneut links abbiegen, dann 210 km nochmals der Straße folgen und – angekommen. Aber der Reihe nach. Von Adelaide aus geht es durch eine scheinbar unendliche Aneinaderreihung von Ortschaften mit Tankstellen und Tankstellen mit Ortschaften nach Port Augusta. Diese Stadt, Crossroad of Australia genannt, ist eigentlich nur eine riesige Kreuzung: geradeaus geht es nach Alice Springs bzw. Darwin, links nach Perth.

Wir fahren links. Was nun kommt ist unser erster Kontakt mit dem lang ersehnten Outback. Ein fast 1.700 km langes, zweispuriges Teerband zieht sich an der Küste entlang durch unbewohntes, unwirtliches Land. Wir sind auf dem Eyre Highway durch die Nullarbor Plain (von lat. nulla arbor ‚kein Baum‘) unterwegs. Es ist sagenhaft: Nichts. Und das soweit das Auge reicht. Vor uns ist nichts, hinter uns auch bald nichts mehr, links ist nichts (das Meer kann man so gut wie nie sehen) und rechts ist schon gleich dreimal nichts. Keine 100 Meter nach Port Augusta schalten wir den Tempomat ein, schaukeln mit knapp 100 km/h durchs, ja, genau, Nichts. Vor einiger Zeit haben wir uns für den iPod einen eigenen Remix zusammengestellt: 268 Songs, 15,3 Stunden Spielzeit. Zu „in München steht ein Hofbräuhaus“, „born to be wild“ und Michael Mittermeiers Zusammenhangsfindung zwischen Buddah und Otti Fischer geht es so dahin. Alle paar hundert Kilometer wird der „Rausch durchs Nichts“ von Tankstellen unterbrochen und wir denken uns, dass man die Flying Doctors um den Service eines Flying Dentist erweitern sollte. Denn wo die Betreiber der Tankstellen ihre Zähne haben, bleibt offen. Auf jeden Fall nicht an dem von der Natur dafür vorgesehenen Platz. Ein einzelner, oftmals gelblicher Zahn, mittig unter einer von Sonne und Staub gegerbten Nase ist das Einzige, was geblieben ist und lächelt ein der gute Mann an, hat man das Gefühl, einem Zombie aus „From Dusk till Dawn“ gegenüber zu stehen. Wahrscheinlich sind jene zahnlosen Tankstellenzombies der Grund für das in diesem Land angebotene Toastbrot. Das ist so weich, labberig, luftlöchrig, dass sich aus 100 Gramm undefinierbarer Toastbrotmasse locker 25 Scheiben (zu je 1 cm Dicke) gewinnen lassen.

So inspirierend Reiseführer auch sein mögen, so dämlich können sie auch sein. Das Kapitel über die Nullabor Plain sagt zu Beginn, der gute Traveller solle sich spätestens in Port Augusta mit frischen Lebensmitteln bis unters Dach eindecken. OK, verständlich. In der Nullabor Plain gibt es keine nennenswerte Ansiedlung, folglich auch keine Supermärkte. Gesagt, getan. Und dann, 900 km später, wird dem Reisenden mit aller Macht und Unbarmherzigkeit der gesamte Vorrat wieder abgenommen und in großen Containern verstaut, um vernichtet zu werden. Willkommen in Western Australia! An der Grenze zwischen den Bundesstaaten South Australia und Western Australia steht mitten im Nirgendwo eine Grenzstation wie seinerzeit an der innerdeutschen Grenze (BRD – DDR) und eine ebenso winzige wie witzlose Fruchtfliegeninspekteurin durchsucht unseren Laster auf der Suche nach Unheil- und Verderben bringendem Gemüse, Honig und halt allem, was schmeckt und Blindes-Passagier-Vehikel für die Angst einflößende Fruchtfliege sein könnte. Alles weg! Mit Toastbrot und Truthahn aus der Dose (mit dem sinnigen Namen „Spam“) geht es weiter. Durchs Nichts zum nächsten Supermarkt. Der käme in ungefähr 800 km, sagt man uns.

Für die gesamte Strecke zwischen Adelaide und Esperance (2.179 km) benötigen wir 2 ½ Tage. Wir haben dabei eine Zeitzone mit zwei verschiedenen Sommer – und Winterzeiten hinter uns gelassen, die mit 146,6 km längste gerade Strecke Australiens „überfahren“, eine Nacht auf einem scheinbar bei Einzähnigen Tankstellenbetreibern sehr beliebten und an Trostlosigkeit nicht zu überbietenden Camp Ground verbracht und das Nichts genossen. Das Ende (oder umgekehrt den Beginn) der Nullabor Plain markiert in Western Australia eine Ansammlung Häuser namens Norseman. Dieser Ort ist so trostlos, dass alles menschliche Leben jünger als 80 Jahre samt Hund, Katze, Maus und Fruchtfliege das Weite sucht und eine Szenerie hinterlässt, die ein Gefühl zwischen Mitleid und dem sehnlichen Wunsch, das Gaspedal bis zum Anschlag durch zu drücken, weckt. Wir geben zweiten Gefühl Raum und Zeit und brausen den Bahngleisen folgend weiter südwärts, Ziel Esperance.

Der letzte Streckenabschnitt zwischen Norseman und Esperance ist geprägt von riesigen, sehr riesigen Äckern. Staubtrocken und abgeerntet wirken diese Felder wie Mini-Wüsten. Am Horizont sehen wir plötzlich riesige Rauchschwaden hoch in den stahlblauen Himmel aufsteigen. Ahnungslos, was dort am Horizont brennen könnte, steuern wir der Straße folgend darauf zu. Bald wird klar, dass hier nichts brennt, sondern ein Traktor das öde Land pflügt und der aufgewirbelte Staub einer Säule gleich gen Himmel steigt. Die von einer grau-braunen Staubschicht bedeckten umgebenden Bäume, Büsche und wenigen Grassflächen, vermitteln den Eindruck totaler Öde, dem verlorenen Kampf der Farmer gegen die unbarmherzige Sonne und wüssten wir es nicht anders, wähnten wir uns eher in der afrikanischen Steppe, denn in einer der großen australischen Kornkammern. Verstärkt wird dieser Eindruck von zahllosen ausgetrockneten Seen, von denen nichts übrig ist, als eine knorrige, faltige, grobkörnige Salzablagerung. Weiße Bratpfannen im grauen Nichts.

Esperance am Ende der Straße ist das krasse Gegenteil. Grüne, ständig bewässerte Rasenflächen scheinen nahtlos in das tiefblaue Meer der großen australischen Bucht überzugehen. Wir erliegen dem Charme der Stadt mit seinen kleinen Parkanlagen, gepflegten Häusern und der absolut traumhaften Lage am Meer. Ein Tag war geplant, vier wurden es. Vom Strand nur durch eine kleine Straße getrennt, schlagen wir mit Knut unser Lager auf, genießen den Anblick des inzwischen wieder gefüllten Kühlschranks und lassen die Seelen baumeln. An einsamen, menschenleeren Stränden lauschen wir dem Rauschen der Wellen, dösen im Schatten unseres tahitianischen Bier-Sonnenschirms ein. Erst nach gefühlten 200 Bremsenstichen wollen sich die schweren Lider der Augen wieder heben, und ein Sprung ins kalte Südpolarmeer lässt uns wieder vollkommen an der Welt teilhaben. So verbringen wir einige herrliche Tage, bevor es wieder ins Landesinnere, an Norseman vorbei (diesmal mit Vollgas) zum größten menschgemachten Loch Australiens geht: Kalgoorlie.

Diese Stadt verdankt ihre bloße Existenz dem Goldrausch und dem nicht zu stillenden Hunger der Welt nach Gold. 1893 fand hier der Glück und Wohlstand suchende Patrick Hannan Gold: vor 120 Jahren gab es davon so viel, dass der gute Mann es nur vom Boden aufklauben musste. Heute graben sich hunderte Tonnen schwere Maschinen unaufhörlich in den Boden einer der größten Tagebauminen der Welt: 5 km lang, 1,5 km breit und inzwischen sagenhafte 500 Meter tief. Ein Ende ist abzusehen – in ca. 15 Jahren soll auch der letzte Futzel Gold abgebaut sein. 24/7 wird der gebrochene Fels auf monströsen Kippern aus dem Loch hinaustransportiert und oben weiterverarbeitet. Jeder dieser Kipper wiegt leer 166 Tonnen und kann bis zu 255 Tonnen Gestein laden. Aus sechs solchen Fuhren – also fast 1.300 Tonnen Gestein – wird Gold von den Ausmaßen eines einzigen Golfballes gewonnen. Beachtlich, besonders wenn man den jährlichen Gesamtertrag der Mine von kapp 20 Tonnen Gold dagegen hält.

Karlgoorlie versprüht auch heute noch den Reiz einer echten Goldgräberstadt – alle 20 Meter ein Pub, ein liquor store und Australiens dienstältestes Puff „cuesta casa“ – zu erkunden als Kunde oder mit einer geführten Tour unter angeblich fachkundiger „Einführung“. Wir belassen es beim Besuch des Erdlochs und zweier Goldgräbermuseen und machen uns nach einem Tag wieder auf die Socken – ohne Gold gefunden zu haben.

Nach diesem Loch soll es zur Welle gehen. An dieser Welle, The Wave Rock, spalten sich die Geister. Man müsse unbedingt hin, sagen die einen, den Schmarrn kann man sich getrost sparen, sagen die anderen. Meinungen sind subjektiv. Ebenso das Empfinden, was schön sei und was nicht. Beachtenswert an dieser Diskussion ist der Beitrag eines gewissen Steffen Albrechts, Verfasser des Iwanowski’s Reiseführer für Australien. Dort wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „kein Reisender seine Reiseroute umstellen“ solle, nur um den „wenig imposanten Wellenfelsen“ zu besuchen. Mag sein, dass der Wellenfels nicht der Reise wert ist, aber eine derartige Aussage gibt zu denken: warum wird Manches als „absolutes Muss“ dargestellt und anderes als nicht beachtenswert. Und all das bei einem Verlag, der sich preist „Tipps für individuelle Entdecker“ zu bieten.

Wir haben unsere Reiseroute dem „Wellenfelsen“ angepasst und das war auch gut so. Über Jahrmillionen hat Regenwasser eine perfekte Welle, ca. 110 Meter lang und 15 Meter hoch aus dem Felsen „geschliffen“. Im Abendlicht, bei niedrigem Sonnenstand, glauben wir uns in einer anderen, harmonischen Welt. Wir durchschreiten „The Wave“ und sind ergriffen. Wir spazieren weit über die Welle hinaus über glatt geschliffene Felsformationen in den Sonnenuntergang, „surfen“ beim letzten Sonnenlicht noch einmal trockenen Fußes durch die Welle und bereuen es nicht im Geringsten, hier gewesen zu sein. Und nur der guten Vollständigkeit halber: Ayer’s Rock (oder Uluru) ist auch „nur“ ein Stein in platter Landschaft. Dieser Stein hat aber scheinbar die Gunst der Schreiberlinge erhascht…

Über einen sandigen, engen Track, auf kaum einer Karte verzeichnet, geht es in einer fast geraden Linie durch sandige, baum- und buschlose Ebenen, karge Eukalyptuswälder und vorbei an ausgetrockneten Salzseen zurück zur Küste. Bei Albany treffen wir wieder auf das herrlich blaue Meer. Da Ostern in einigen Tagen ansteht und über das lange Osterwochenende alles Richtung Küste drängt, haben wir uns entschieden, den umgekehrten Weg zu nehmen: vor Ostern die Küste und über die Feiertage ins ruhige Perth. Somit haben wir für eine Strecke von nicht einmal 700 km eine knappe Woche und lassen es locker angehen: am Mandalay Beach suchen wir ein Geisterschiff – alle 10 Jahre erscheint angeblich das Wrack der „Mandaly“ aus den Tiefen der Sanddünen, um nach wiederum 10 Jahren wieder in diesen zu verschwinden -, schwingen auf einem wackeligen und hohen Tree-Top-Walk durch die Baumwipfel unheimlich alter und hoher Karri-Bäume, durchfahren scheinbar endlose dieser Wälder und tauchen dabei in eine fast schon mythische Urlandschaft ein und stehen am Cape Leeuwin am Treffpunkt zweier Meere: hier fließen das Südpolarmeer und der Indische Ozean zusammen – oft stürmisch und vor Errichten des Leuchtturmes ebenso katastrophal.
In dieser Region, dem Süden Westaustraliens, gibt es keine weltbekannten Sehenswürdigkeiten. Hier, in dieser Ecke Australiens, sind es die kleinen, unscheinbaren Attraktionen, die das Salz in der Reisesuppe ausmachen: Höhlen in den verschiedensten Formen und Größen, mit und ohne See drinnen, die sonst unscheinbare Stadt Busselton mit einem 2.000 Meter langen Pier (dem längsten in der südlichen Hemisphäre) und das Städtchen Margaret River, das zu einem Bummel und zum Verweilen in einem der vielen netten Cafes einlädt. Das wirkliche Highlight der Region aber sind die unzähligen Strände. An unserem letzten Tag in dieser an Überraschungen reichen und landschaftlich herrlichen Region – das erste Mal haben wir eine Art Gefühl des Angekommenseins – finden wir in der Nähe des Örtchens mit dem ulkigen Namen Yallingup einen Strand wie aus dem Bilderbuch. Verloren zwischen den Dünen und dem Meer spazieren wir stundenlang barfuss über den warmen Sand, lassen „fünf gerade sein“ und sind glücklich im Hier und Jetzt eben hier und jetzt zu sein.

 

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